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Mimesis und Methexis: Skizze einer Poetik der Teilhabe für die Gegenwart

Author: Roman Widder (Humboldt-Univertsität zu Berlin)

  • Mimesis und Methexis: Skizze einer Poetik der Teilhabe für die Gegenwart

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    Mimesis und Methexis: Skizze einer Poetik der Teilhabe für die Gegenwart

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Abstract

The paper draws on the history of the concept of participation (methexis) in its conflictual relation to imitation or representation (mimesis) for a deepened understanding of identity-related questions in contemporary literature. Plato subjected mimesis to rigorous critique in favor of participation in 'ideas'. In contrast, the history of poetics since Aristotle develops along the valorization of mimesis, while participation here was not understood as an aesthetic category at all. In a synoptic overview, the first part of the paper argues, that mimesis and methexis can only be understood in their dialectic relationship as modern literature has witnessed a periodic return of the problem of participation in poetics. Against the background of this dialectic, the specific profile of contemporary literature and its treatment of questions related to identity becomes visible. The second part of the paper shows this with regard to Olivia Wenzel's novel 1000 serpentinen angst (2020) and Kim de l'Horizon's Blutbuch (2020), that articulate two very different poetic traditions of methexis.

Keywords: realism, mimesis, participation, identity, contemporary literature

How to Cite:

Widder, Roman. "Mimesis und Methexis: Skizze einer Poetik der Teilhabe für die Gegenwart." Genealogy+Critique 10, no. 1 (2024): 1–23. DOI: https://doi.org/10.16995/gc.11768

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Published on
2024-08-29

Peer Reviewed

1. Zur Einführung: Identität als Teilhabe

In der Rubrik "Literaturzeitschriften im Porträt" auf dem Suhrkamp-Blog Logbuch-Suhrkamp muss die Literaturzeitschrift PS – Politisch Schreiben wie jede andere Literaturzeitschrift auch folgende Frage beantworten: "Wie wählt ihr aus? Autor vor Text, Text vor Autor?" Ihre Antwort lautet: "Autor*in vor Autor und beide vor Text."1 Sie scheint damit in aller Kürze noch einmal zu bestätigen, was in den letzten Jahren als eine unbehagliche Diagnose durch die Debatten der literarischen Öffentlichkeit zirkulierte: Die Verdrängung des Ästhetischen durch einen politischen Imperativ. In Kritik stand dabei nicht nur die hier deutlich anklingende politische Gewichtung der identitätspolitischen Kriterien, sondern zugleich die ästhetische Nobilitierung einer literarischen Kultur, welche die erzählten Geschichten höher zu gewichten scheint als die narrativen Formen und damit einen Siegeszug von auf Identifizierung zielenden Schreibweisen gegenüber experimentellen und reflexiven Poetiken nach sich zieht.2

Wie ich im Folgenden argumentieren möchte, fehlt es in dieser Debatte allerdings noch an historischer Tiefe, die ausreichend analytische Distanz zur Gegenwart erzeugen könnten, um die ästhetische Tragweite dessen zu ermessen, was in der aktuellen Entwicklung überhaupt auf dem Spiel steht. Diese Tragweite ist – wie ich behaupten möchte – durchaus als groß anzusetzen. Als Ausgangspunkt einer ästhetik- und formgeschichtlichen Genealogie identitätspolitischer Poetiken der Gegenwart bietet sich in meinen Augen nicht der Begriff der Identität an, sondern jener der Teilhabe. Teilhabe (gr. methexis, lat. participatio) ist sozusagen die ästhetische Variante jenes in der aktuellen Debatte umkämpften Identitäts-Begriffs, wobei er nicht nur Individualität bezeichnet, sondern insbesondere die in der philosophischen Auseinandersetzung mit dem autosoziobiografischen Schreiben zentrale Einbettung von Identität in einem sozialen Kontext.3 Teilhabe war lange eines der großen Themen der abendländischen Philosophie und stand dabei seit Platon in einem konfliktreichen Verhältnis zu Kunst und Literatur. Um den gegenwärtigen Moment der literarischen Formentwicklung zu verstehen, ist es meines Erachtens nötig, die historisch windungsreiche Geschichte der Wechselbeziehung von mimesis und methexis zumindest schematisch vor Augen zu haben. Darstellung und Teilhabe, mimesis und methexis, müssen literaturhistorisch in ihrer Abhängigkeit voneinander gedacht werden, so die These dieses Beitrags, die an Vorarbeiten aus den Bildwissenschaften anknüpft.4 Aufgrund des unerhörten historischen Umfangs der Problematik kann das hier Ausgeführte selbstverständlich nur den Charakter einer Skizze beanspruchen. Der erste Teil des Aufsatzes stellt also eine Synopse dar: Ich werde zunächst die literatur- und wissensgeschichtliche Genealogie des Problems seit Platon umreißen (2.), wobei insbesondere das romantische Erbe der platonischen methexis-Lehre von einer realistischen Arbeit am Verhältnis von mimesis und methexis unterschieden wird (3.). Der zweite Teil versucht die historischen Beobachtungen in exemplarischen Analysen fruchtbar zu machen: Olivia Wenzels tausend serpentinen angst (2020) (4.) und Kim de l'Horizons Blutbuch (2022) (5.) werden dabei als zwei gänzlich unterschiedliche Varianten einer gegenwärtigen Teilhabe-Poetik profiliert. Der Aufsatz erhebt damit keinen Anspruch auf eine abgeschlossene theoretische Formulierung des Problems, er ist vielmehr interessiert daran, Literaturgeschichte und Gegenwartsliteraturforschung zu vermitteln, und versteht sich als Einladung zur Debatte.

2. Die Aporie von mimesis und methexis in der vormodernen Theoriebildung

Platon hält bekanntlich wenig von Nachahmung und die Gründe dafür sind ontologischer Natur. Seiner sog. Ideenlehre5 zufolge sind bereits die sinnlich wahrnehmbaren Objekte nur Nachahmungen der Ideen, Kunstwerke dementsprechend Nachahmungen zweiter Ordnung. Als Konkurrenzkonzept zur mimesis fungiert dabei der Begriff der methexis (μέθɛξις). Das Verb metechein (μɛτέχɛιν), das mit "teilhaben", "teilnehmen", "mitgenießen" oder "betroffen werden" übersetzt wird, verwendet Platon abwechselnd mit verwandten Begriffen wie koinonia (Gemeinschaft) oder parousia (Gegenwart, Anwesenheit, im Sinne der Gegenwart des Urbilds im Abbild). Dinge sind demnach mit ihrer ideellen Bestimmung nicht identisch, durchaus aber von dieser bestimmt und sie haben insofern Anteil an den Ideen: "Die Erscheinungen 'haben teil' an den Ideen, 'ahmen sie nach', diese sind in jenen 'gegenwärtig', sie pflegen 'Gemeinschaft' mit ihnen."6 Dieses Begriffsfeld der Teilhabe und Teilnahme ist ein ungemein politisches, nicht umsonst macht Platon von ihm insbesondere in der Politeia Gebrauch, und zwar auf drei semantischen Ebenen gleichzeitig: in ontologischer Perspektive (Teilhabe der Dinge an den Ideen), als anthropologisches Argument (Teilhabe der menschlichen Seele am Göttlichen) und als pädagogisch-politische Norm (Teilhabe der Philosophen am Staatsleben).7 Für die Kritik der mimesis beruft sich Platon insbesondere auf das ontologische Argument und insofern stehen mimesis und methexis hier in einem konfliktuellen Verhältnis zueinander.

Aus guten Gründen wurde immer wieder auf die inneren Widersprüche von Platons Kritik der mimesis verwiesen. Der Begriff der mimesis selbst, so der vielleicht gewichtigste Einwand, wird bei Platon zur zentralen Metapher für die Erläuterung des Verhältnisses von Dingen und Ideen. Wenn aber Dinge auch als Nachahmungen von Ideen zu verstehen sind, dann zeigt sich bei genauerem Hinsehen, so Aloisa Moser in ihrer bildtheoretischen Rekonstruktion des Verhältnisses von mimesis und methexis, dass man schon bei Platon "den Begriff der mimesis (Nachahmung) nicht genau vom Begriff der methexis (Teilhabe) absetzen kann."8 Vorsichtiger ausgedrückt: Bereits hier lässt sich eine "Dialektik von mimesis und methexis"9 beobachten, die allerdings so implizit bleibt, dass es sich de facto um eine Aporie handelt: entweder mimesis oder methexis.

Aristoteles rehabilitiert die mimesis in der Poetik dann in folgenreicher Weise, nämlich als allen Menschen angeborene Befähigung zur Nachahmung, die ebenso Freude bereitet wie für das kindliche Lernen unentbehrlich ist: "das Nachahmen selbst ist den Menschen angeboren".10 Jenseits dieser legitimatorischen Fundierung von Nachahmung verleiht er dem Begriff jedoch deutlich an Schärfe: Mimesis meint in der Poetik die Darstellung von menschlichen Handlungen durch verschiedene Kunstmittel, im Fall der Dichtung: durch Sprache. Mit der Wahrheit hat mimesis nichts zu schaffen, es geht ihr vielmehr um wahrscheinliche Handlungen, sie stellt dar, was geschehen könnte",11 weshalb "Nachahmung" überhaupt eine leicht irreführende Übersetzung für mimesis ist. Den Begriff der Teilhabe hingegen weist Aristoteles an ganz anderer Stelle, in der nachträglich als Metaphysik bezeichneten Textsammlung, als bloße Metapher ohne philosophische Bedeutung zurück.12 Aristoteles entschärft das Problem der Verwechselbarkeit von mimesis und methexis also, indem er die mimesis aus dem Bereich des Ontologischen ausklammert und so die Tragweite der Nachahmungsfrage verringert, sie sozusagen entpolitisiert. Die Notwendigkeit, die politischen Wirkungen von mimesis zu kontrollieren, ist aber auch bei ihm noch spürbar. Indirekt betrifft die soziale Frage, wen die poetische Nachahmung auf der Darstellungsseite integriert und wer an ihr auf der Publikumsseite teilhaben kann, bei Aristoteles die gesamte gattungstheoretische Perspektive der Poetik, mit der anfänglichen Definition der Komödie als "Nachahmung von schlechteren Menschen" und ihrer späteren Konzentration auf die Tragödie als "Nachahmung von Menschen", die "besser sind als wir".13 Ein Spannungsverhältnis zwischen mimesis und methexis lässt sich in diesem Sinn auch bei ihm noch beobachten, es wird nur anders aufgelöst, nämlich zugunsten der mimesis.

Da von Platon und Aristoteles zwei so grundsätzlich verschiedene und inkompatible Modelle für die Auflösung des Spannungsverhältnisses von mimesis und methexis überliefert wurden, haben beide Terme eine voneinander unabhängige Geschichte geschrieben: Seit dem Neuplatonismus wird der Begriff der Teilhabe zu einem Grundbegriff der spätantiken und mittelalterlichen Philosophie, wobei die Einheit aller seienden Dinge kraft ihrer Teilhabe an Gott gedacht wird und ihren "sozialen Sinn"14 dabei nie verliert. Als vorläufiger End- und Umschlagpunkt dieser platonischen Philosophie der Teilhabe mit ihrer einerseits sozial-inklusiven Rhetorik und andererseits mimesis-kritischen Haltung kann die Philosophie von Nikolaus von Kues a.k.a. Cusanus gelten, der zu dem erstaunlichen Schluss kommt: "Das wirkliche Sein unserer Intelligenz besteht also in der Teilhabe am göttlichen Verstand."15 Damit ist die menschliche Intelligenz als solche gemeint. Zwar gilt das methexis-Theorem in seiner platonischen und antimimetischen Fassung in der Neuzeit nicht als anschlussfähig. Es ist aber unschwer erkennbar, dass die bei Cusanus beobachtbare humanistische Fassung des methexis-Theorems bereits einen erstaunlich modernen, auf soziale Universalität orientierten Charakter besitzt.16

Mit einem umgekehrten Vektor verläuft die Geschichte der mimesis: Dass mimesis ins Lateinische zunächst als imitatio übersetzt und im Deutschen dann nicht als Darstellung, sondern als Nachahmung wiedergegeben wurde,17 hatte einerseits eine immer weitere Entfernung vom aristotelischen Sinn des Konzepts zur Folge, wodurch sich die Bewegung der Entschärfung der ontologischen und politisch-sozialen Dimension der Problematik allerdings fortsetzte. Etwa seit dem 16. Jahrhundert, nicht zuletzt ausgelöst durch die verstärkte Aristoteles-Rezeption, wird mimesis jedoch wiederentdeckt, und zwar nicht nur für ästhetische, sondern auch für anthropologische Diskurse. Im Kontext einer wachsenden Legitimität von Fiktion und vermittelt nicht zuletzt durch den Begriff der Einbildungskraft18 wird Nachahmung wieder verstärkt als ein allgemeines menschliches Vermögen verstanden.

Dies geschieht nun allerdings im Kontext der allmählichen Demokratisierung gesellschaftlicher Verhältnisse und entfaltet hier eine neue Wirksamkeit, wie sich besonders eindrücklich bei der pädagogisch-literarischen Bewegung der sog. Volksaufklärung (1720–1840) zeigt. Autoren wie Zacharias Becker (1752–1822) entwickeln das protodemokratische Programm der sozialen Inklusion aller in eine alphabetisierte Öffentlichkeit ausgehend von der menschlichen Fähigkeit zur Nachahmung. Laut Becker ist "selbst der Affe nicht so sehr zur Nachahmung geneigt, als er [der Mensch, R.W.]".19 Ausgangspunkt ist dabei eine Art negative Anthropologie: Dort, wo "[d]ie aufgerichtete Stellung" den Menschen vor das Problem seiner Weltoffenheit stellt, wird die "Erweiterungskraft"20 als ein mimetisches Vermögen eingesetzt und zum Antrieb der kulturellen Produktivität des Menschen. Die mimesis stellt damit zugleich den Ausgangspunkt für Beckers Tendenz zu einer Enthierarchisierung der sozialen Praxis der Kunst dar, deren Produkt unter anderem das Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute (1788) ist – ein Ratgeber in Romanform, der zu den meistverkauften und -gelesenen Texten des 18. Jahrhunderts gehört und in dessen Zentrum eine Figur namens Wilhelm Denker steht, der das neue Ideal der Selbstbildung schon qua seines Namens verkörpert.21

Wenn aber prinzipiell alle gleichermaßen und voraussetzungslos denken, sich selbst bilden, nachahmen, repräsentieren können, wenn also alle qua Nachahmung an der Möglichkeit des Denkens teilhaben, dann finden sich mimesis und methexis erneut in einem Bedingungsverhältnis wieder. Seit der Aufklärung und insbesondere der Volksaufklärung wird die subalterne Erfahrung allmählich zum ultimativen Maßstab der Darstellung von Wirklichkeit. Allerdings gilt dies nicht nur im Hinblick auf den Gegenstand der Darstellung, sondern auch im Hinblick auf ihre soziale Herkunft: Das Ideal der Teilhabe möglichst vieler an der Sache der Literatur lässt sich nicht mehr so einfach zurückweisen.22 Erst das Ausmaß an sozialer Partizipation ermöglicht auch eine angemessene Darstellung der sozialen Wirklichkeit – diese tief in die Gegenwart hineinwirkende Vorstellung setzt sich hier bereits allmählich durch. Ich schlage vor, diese allgemeine Tendenz als Synthese von mimesis und methexis in der literarischen Neuzeit zu beschreiben. In dem demokratischen Zeitalter, in dem wir uns noch heute befinden, hat das Niedrige und Alltägliche gegenüber dem Edlen und Besonderen einen Originalitäts- und Authentizitätsvorsprung. Dies zeitigt auch, wie nun zu zeigen ist, unmittelbare Wirkungen auf die poetologischen Debatten zwischen Romantik und Realismus.

3. Die Synthese von mimesis und methexis zwischen Romantik und Realismus

Die moderne Literaturtheorie beerbt die ganze Problemkonstellation unter anderem vermittelt durch den Symbolbegriff. Mit Goethe ließ sich das Symbol als ein natürliches Zeichen verstehen, das im Besonderen das Allgemeine darzustellen vermag. Das Symbol galt also als ein Element der Repräsentation, das an der Idee unmittelbar teilhat. Als solches konnte es zum Konkurrenzbegriff einer als Nachahmung missverstandenen mimesis werden.23 Dabei lässt sich eine romantische von einer realistischen Verwendung des Symbolbegriffs unterscheiden.

Ausgangspunkt der romantischen Sprachtheorie sind tatsächlich die neuplatonischen Varianten des methexis-Begriffs, d.h. der Teilhabe am Absoluten durch die Sprache. Schlegel spricht von der "gegenseitige(n) Verkettung aller Dinge durch ein ununterbrochenes Symbolisiren."24 Kunst hat demnach, so Detlef Kremer zu Schlegel, aufgrund "ihrer materialen Gebundenheit" zwar die "Teilhabe am Absoluten aufgegeben", die Poesie wird aber als "Symbol des göttlichen Schöpfungsaktes" verstanden.25 Wie Alexander Hampton zeigt, können weite Teile der frühromantischen Ästhetik als Verbindung eines von Spinoza geprägten Monismus mit platonischer und neuplatonischer Metaphysik verstanden werden.26 Schlegels Transzendentalpoetik bezieht sich dabei ganz unmittelbar auf Platon und sein methexis-Theorem.27 Mit der transzendentalpoetischen Forderung an die Dichtung, "in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit dar(zu)stellen",28 erhebt Schlegel die autopoetische Reflexion auf die Gemachtheit des Textes sowie die (bei Platon durch die Dialogform erfolgende) Kombination aus Reflexion und Darstellung zum romantischen Darstellungsprinzip.29 Resultat ist nicht zuletzt eine am Fragmentarischen und an der Vielfalt von Gattungen orientierte Romanform.30 Die Komplexität der einzelnen ästhetischen Entwürfe lässt sich hier natürlich nicht wiedergeben, verallgemeinert aber kann gesagt werden: Die Romantik löst die Spannung zwischen mimesis und methexis noch einmal deutlich zugunsten der platonischen methexis-Lehre auf.31

Auch der Realismus hat auf poetologischer Ebene noch an den Symbolbegriff angeknüpft.32 Allerdings ist die post-idealistische Ästhetik ebenso wie die Programmpoetik des Poetischen Realismus, die insbesondere von Julian Schmidt betrieben wird und bei Paul Heyse in der Forderung eines Dingsymbols in der Novelle gipfelt, nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Literaturgeschichte des Realismus. Im Hinblick auf den Anspruch, den der Realismus insgesamt einzulösen sucht, erweist sich das spezifische Autorschaftskonzept des frühen Realismus als interessanter: Am Anfang des deutschsprachigen Realismus stehen Autoren wie Berthold Auerbach oder Jeremias Gotthelf, denen eine besonders gute Bekanntschaft mit den Lebenswelten ihrer subaltern-provinziellen Protagonisten zugeschrieben wird. Symptomatisch ist die Geschichte der Autorschaft von Gotthelf: 1836 publizierte der Schweizer Pfarrer Albert Bitzius unter dem Titel Der Bauern = Spiegel oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, von ihm selbst geschrieben einen Roman, der in der ersten Person die Lebensgeschichte eines halbwaisen Pächtersohnes erzählt.33 Bitzius erzählt die Geschichte eines fiktiven Bauern, der Name dieses fiktiven Bauern allerdings, Jeremias Gotthelf, wird im Folgenden zum Autornamen des Schriftstellers Bitzius und Bitzius unter dem Namen Gotthelf zu einem der einflussreichsten Autoren des 19. Jahrhunderts. Dabei ist Bitzius weder in einem Bauernhaus aufgewachsen noch hat er je in einem gelebt, er gehörte der Berner Oberschicht an. Bitzius schafft sich im Self-Fashioning als Bauer und Bauernexperte eine Testimonialillusion, die Garantie der Referenzialität seines zukünftigen Erzählens. Er erfindet mit Gotthelf jenen denkenden und erzählenden Bauern, für den das Feld seit der Volksaufklärung um Figuren wie den von Caspar Hirzel zum 'philosophischen Bauern' stilisierten Jakob Gujer diskursiv schon bestellt war.34 Das volksaufklärerische Programm, das die Teilhabe möglichst vieler am Prozess der Aufklärung einforderte, wird hier Literatur, kann aber nur Literatur werden, indem sich die Darstellung der Subalternen durch die Stimme eines Subalternen selbst legitimiert und diese fingierte subalterne Identität zum realistischen Index von Wirklichkeit wird.

Diese Konstellation muss auch für den sog. Poetischen Realismus noch mitgedacht werden. Gustav Freytag beklagt etwa, dass "unsre Romanschriftsteller in der Mehrzahl sehr wenig, ja zuweilen so gut wie nichts von unsrem eigenen Leben, von dem Treiben der Gegenwart verstehen" und meint, "Gotthelf wäre mit all seiner Gestaltungskraft nicht im Stande, seine Bilder zu schreiben, wenn er nicht jahrelang unter den Bauern gelebt, ihren Haushalt, ihre Thätigkeit, ihre Freuden und Leiden bis ins kleinste Detail kennen gelernt hätte".35 Was nicht mit eigenen Augen gesehen wurde, so Freytags Argument, kann auch fiktional nicht adäquat dargestellt werden. Realistische Literatur ist sich des Abstands zwischen Darstellung und Wirklichkeit durchaus bewusst, seit dem 19. Jahrhundert wird die Literatur jedoch in zunehmendem Maß von einem ethischen Appell erfasst, der auf die Verringerung dieses Abstandes drängt. Die ethisch-politische Frage nach dem Verhältnis von (sozialer) Partizipation und (literarischer) Repräsentation ist dabei der Treibstoff, der das Begehren nach immer mehr und immer genauerer Darstellung von Wirklichkeit antreibt.

Das Problem der Teilhabe findet sich im Realismus jedoch – und dies soll der letzte Aspekt dieser archäologischen Skizze sein – auch auf der Rezipient:innenseite, etwa in Überlegungen zur "Teilhabe des Rezipienten an der Figurenwelt", die der Realist und Erzähltheoretiker Otto Ludwig (1813–1865) angestellt hat.36 Teilhabe in diesem Sinne scheint zunächst etwas ganz anderes zu sein: Es meint die Möglichkeit der Identifizierung mit Elementen der erzählten Welt oder der Einfühlung in diese. Aber die Möglichkeit solcher Teilhabe oder Identifizierung erweist sich gerade für den Anspruch auf Darstellung von Wirklichkeit als entscheidend. Realismus ist deshalb – die Realismus-Forschung hat dies hinreichend dargestellt – immer schon und unabweisbar zu Popularität verpflichtet.37 Poetologisch sind hier die aristotelische katharsis-Lehre und die Mitleidspoetik Lessings die entscheidenden historischen Referenzen. Zwei Elemente, die in dieser rezeptionsästhetischen Tradition angelegt sind, erhalten im Realismus jedoch eine größere Dringlichkeit: Erstens die soziale Frage nach der Überschneidung der Erfahrungswelten von erzählter Welt und Publikumswirklichkeit, die Identifizierung wahrscheinlich macht; zweitens aber die Frage nach Verfahren, die Einfühlung und Identifizierung in technisch-narrativer Hinsicht überhaupt ermöglichen.38 Wichtig ist dabei der im Realismus populäre 'mittlere Held', dessen Prototyp Ludwig in den Romanen Walter Scotts findet. Für Ludwig ist der mittlere Held allerdings keineswegs der Protagonist der Geschichte, er ist überhaupt "keine bedeutende Gestalt", sondern "unser eigener Durchschnitt", damit laut Ludwig zugleich ein "Organ des Lesers"39 und insofern weniger Figur als eine Art zweite Erzählinstanz. Gerade die Unterbestimmtheit des mittleren Helden ermöglicht es den Leser:innen, fremden Gestalten zu begegnen, die sie gerade nicht aus ihrer eigenen Lebenswelt kennen. Es handelt sich dabei – im Selbstverständnis des Realismus – nicht um eine Täuschung des Publikums, nicht um Illusion, sondern um Immersion, um die technische Möglichkeit des Eintauchens in eine fremde Welt. Ludwig nennt das Ganze auch "Spannung durch Teilnahme".40 Was als problematische Psychologisierung von Literatur wirkt, ist doch insofern wegweisend, als die soziale Reichweite von mimesis – nicht nur die Nachahmung wahrscheinlicher Handlungen also, sondern auch die Teilhabe an der Erfahrung sozial anders situierter Personen – schon länger ein wichtiger Bestandteil für die politische Dynamik von Fiktion ist und hier erstmals konzeptuell erfasst wird.

Während das platonische Erbe der romantischen Sprachphilosophie gut erforscht ist, ist die realistische Kontur des Teilhabe-Problems begrifflich weniger offenkundig und wurde hier deshalb besonders hervorgehoben. Sie hat zwei Seiten: Bei der pseudoautobiografischen Engführung von Autor und Figur (wie bei Gotthelf) wirkt das Teilhabe-Moment auf der Produzent:innenseite an der der Beglaubigung einer Referenzillusion mit. Gleichzeitig wird das Teilhabe-Moment als Rezeptionsphänomen in der Form lokalisiert (so bei Ludwig), um die Möglichkeit der Erkundung des Sozialen durch die literarischen Rezipient:innen zu konzipieren. Insofern lässt sich für den Realismus in besonderer Weise sagen: "Mimesis und methexis setzen einander voraus".41 Die "wechselseitige Abhängigkeit von mimesis und methexis"42 hat sich bereits in der Romantik konzeptuell angedeutet und ist mit dem Realismus endgültig ins Zentrum der literarischen Entwicklung gerückt.

4. Teilhabe als Identifizierung durch Dialog: Olivia Wenzels 1000 serpentinen angst (2020)

Inwiefern kann die hier skizzierte, komplizierte Theorie- und Problemgeschichte nun aber einen analytischen Zugriff auf die Gegenwartsliteratur informieren? Dass identitätspolitische Diskurse der Gegenwart die Identität und Erfahrung von Autor:innen teilweise an die Stelle rücken, an der sich bei Platon die Ideen befanden, scheint zunächst nahezuliegen. Der Antwort der Zeitschrift PS („Autor*in vor Autor und beide vor Text", s.o.) scheint etwa eine ähnliche Struktur der Hierarchisierung und Ableitung innezuwohnen, die bei Platon das Verhältnis von Idee (Urbild), Ding (Nachahmung) und Kunst (Nachahmung zweiter Ordnung) bestimmt. Wo der Begriff der Identititätspolitik selbst affirmiert wird, geschieht dies allerdings in der Regel aus einem konstruktivistischen Verständnis heraus.43 Der verbreitete Eindruck, dass identitätspolitische Diskurse mithin zur Essenzialisierung neigen, scheint auch mit Blick auf den vorliegenden Zusammenhang als Schlussfolgerung, welche die Komplexität der Sachlage nicht adäquat erfasst. Am Beispiel von zwei in den letzten Jahren sehr erfolgreichen und viel diskutierten Romanen will ich im Folgenden vielmehr zeigen, dass eine von der Wechselbeziehung von mimesis und methexis in der Geschichte der Literaturtheorie informierte Perspektive hilfreich ist, um die Poetiken der Gegenwart auf ihren Begriff zu bringen.

Olivia Wenzels Roman 1000 serpentinen angst zeichnet sich durch eine dialogische Erzählweise aus, die bis ins Schriftbild hinein als eine Spaltung der Erzählstimme erscheint. Dabei sind den beiden Stimmen, durch deren Dialog der Roman erzählt, keine Figurennamen zugeordnet und ihr Auftritt erweist sich im Verlauf des Romans zudem als durchaus instabil. Im ersten Teil (points of view) ist es die im Schriftbild durchgehend groß geschriebene Stimme, welche Fragen an das erzählende Ich stellt: "WAS MACHST DU MORGEN? / Ausschlafen."44 Im zweiten Teil (picture this) fällt die Dialogform weg. Im dritten Teil (fluchtpunkte) kehrt die Dialogform wieder, allerdings ist es nun in vielen Fällen das Ich, das die Fragen stellt: "WO BIN ICH JETZT? / Es ist deine vorletzte Nacht in Vietnam, du liegst in der Hängematte auf der Veranda, sachte schaukelnd".45 Die Titel der drei Teile spielen mit bildtheoretischen Semantiken, was bereits darauf verweist, dass der Roman auf eine Darstellung des Sozialen orientiert ist, die das realistische Interesse an Fragen der Repräsentation beerbt. Das dialogische Prinzip erweist sich dabei u.a. als zentrale Strategie des Romans, um dem Umstand zu begegnen, dass jedes Bild unvollständig ist.

Der Dialog ist zwar situativ entortet, er lässt aber mehrere konkrete Situationen anklingen: Er erscheint gleichermaßen als Verhör, Therapie und Selbstgespräch. Die Verhöratmosphäre ergibt sich durch Überschneidungen mit den polizeilichen Identitätskontrollen, denen der angolanische Vater der namenlosen Protagonistin in der DDR ausgesetzt war, die sie aber auch selbst auf ihrer Reise in die USA erlebt: "HAST DU LEBENSMITTEL DABEI? / Nein."46 Eine therapeutische Atmosphäre entsteht nicht nur dadurch, dass die Protagonistin selbst eine Psychotherapie macht, sondern auch dadurch, dass der gesamte erste Teil der Erzählung sich dem für sie traumatischen Suizid ihres Bruders annähert. Im dritten Teil scheint es dann zeitweise so, dass beide Stimmen zu ein- und derselben Person gehören. So lässt sich der Dialog insgesamt auch als Selbstgespräch mit verschiedenen internalisierten Stimmen oder psychischen Instanzen lesen. Diese Einheit der Person stellt sich auf der Ebene der Personalpronomina aber nie ganz her: "WO BIN ICH JETZT? / Du hast die Augen geschlossen."47

Aus der Kombination dieser drei situativen Konnotationen der dialogischen Struktur48 in Wenzels Roman ergibt sich insgesamt ein konstruktivistisches Verständnis von Identität, in dem sich Identität überhaupt nur in Reaktion auf die Anrufung des Ichs durch ein Gegenüber herstellt. Die Protagonistin ringt in ihrer Suche nach Identität mit ihrer Anrufung durch eine fragende Instanz, die das Versprechen eines therapeutischen Selbstgesprächs zugleich ermöglicht und unterwandert, indem sie den Dialog immer wieder zum Verhör verzerrt. Priscilla Layne hat dieses konstruktivistische Verständnis von Identität bei Wenzel überzeugend auf zentrale theoretische Impulse aus den Critical Whiteness und Postcolonial Studies bezogen. Allerdings behauptet sie in ihrer Analyse zunächst "the text is written in first person"49 und unterscheidet zwischen narrator und interlocutor, ungeachtet dessen, dass der vormalige Fragesteller im dritten Teil der Erzählung ohne Zweifel Erzählfunktion übernimmt, nur eben in der zweiten Person erzählt, während in der ersten Person (narrator) nun die Fragen gestellt werden. Layne tendiert zwischenzeitlich sogar dazu, diesen so dingfest gemachten "interlocutor" als "white German" zu identifizieren, um ihn dann aber doch eher als "alter ego" der Erzählerin zu fassen.50 Letztlich bezieht sie den "interrogating tone" des Textes darauf, dass "the narrator's authenticity is being questioned".51 Entsprechend dienen Layne zufolge die Mittel der Autofiktion dazu, eine vorschnelle Identifizierung von Autorin und Erzählerin seitens der Leser:innen zu durchkreuzen: "we cannot equate Wenzel with the narrator".52 Wie Layne zurecht anmerkt, bleibt die Identität von Autorin und Protagonistin im Roman offen, allerdings wird eben diese Identität von Layne selbst auf Grundlage persönlicher Bekanntschaft mit der Autorin wiederum bestätigt.53 Für die Fortführung realistischer Schreibweisen scheint die prinzipielle Überschneidung der Lebenserfahrung der Autorin mit der erzählten Welt des Romans kaum verzichtbar: Einzig Autofiktionalität in diesem Sinn garantiert, dass die subalterne Erfahrung eben nicht nur Gegenstand, sondern Ursprung der Darstellung ist. Über die Funktion der Dialogform ist damit aber noch nichts gesagt.

Auch andere Interpretationen widmen sich dem dialogischen Arrangement des Textes. Sarah Colvin spricht dabei für einige Passagen des Romans konsequenterweise von einem "Du-narrator",54 während Denise Henschel die Umkehrung der Frageform im dritten Teil bemerkt und sie als Emanzipationprozess deutet: "the narrator finally demands the position of the interrogator for herself."55 Diese Deutung leuchtet intuitiv zwar ein, allerdings suggeriert sie einen emanzipatorischen Prozess, der im Roman nur sehr vorsichtig und voller Zweifel stattfindet. Zudem erscheinen narrator und interlocutor auch hier als zwei klar voneinander getrennte Instanzen, als identifizierbare Figuren. Wenzel verwendet die dialogische Form jedoch wesentlich offener und disparater.

Vor dem Hintergrund meiner archäologischen Skizze einer Poetik der Teilhabe wird das Problem der dialogischen Form in Wenzels Roman indes auf andere Art lesbar. Die Dialogform von 1000 serpentinen angst ist das Vehikel einer Poetik der Anteilnahme, das beliebigen Leser:innen die Möglichkeit eröffnet, in die Lebenswirklichkeit der Protagonistin einzutauchen. Dies geschieht allerdings auf eine realistische Weise, und das heißt – ganz nach dem von Otto Ludwig vorgeführten Rezept – nicht durch eine klare Bestimmung der Identität der Erzählerin, sondern gerade durch deren Fehlen. Zwischen 1. und 2. Person, die beide namenlos bleiben, versteckt sich eine Art mittlere Heldin, die gerade deshalb so viel zeigen kann, weil sie selbst nichts Bestimmtes bzw. mehr als die Summe ihrer Bestimmungen ist. Wichtiger als die Frage nach dem Verhältnis von Autorin und Erzählerin ist dabei die Frage nach dem Verhältnis zwischen Erzählerin und Protagonistin: Eine Identität zwischen beiden stellt sich im Text nicht einwandfrei her, weil es der Protagonistin eben nicht gelingt, zur Erzählerin ihres eigenen Lebens zu werden. Die Erzählstimme bleibt gespalten und die eigene Identität das singuläre Produkt einer prinzipiell kontingenten sozialen Konstruktion. Der Prozess der Identifizierung ist hier selbst Teil des Sujets und er erzeugt so, mit Ludwig gesprochen, 'Spannung durch Teilnahme'. Die Protagonistin wird dabei gezeigt, wie sie versucht, an ihrem eigenen Leben teilzuhaben. So paradox das auch klingen mag: Es ist eben das Fehlen von Identität bzw. der misslingende Prozess der Identifizierung, mit dem sich Leser:innen identifizieren können.56

Besonders wichtig wird diese formale Dimension des Textes in Bezug auf die Motivierung der Angst im Roman: Viele Lektüren des Romans tendieren dazu, ihn durch seinen Titel zu lesen und dabei eine klare Linie zwischen den Angstzuständen der Protagonistin und ihren Erfahrungen mit Rassismus zu ziehen.57 Das emotionale Zentrum des Romans ist jedoch der traumatische Selbstmord des Bruders der Protagonistin, der sich vor den Zug wirft, während die Protagonistin den Bahnsteig verlassen hat, um an einem Snackautomaten etwas zu essen zu kaufen. Dieser Selbstmord und sein traumatisches Erleben durch die Protagonistin korreliert zwar mit ihren Angstzuständen, er wird aber an keiner Stelle monokausal durch Rassismus erklärt. Wenngleich Rassismus höchstwahrscheinlich für die psychische Vulnerabilität des Bruders mitverantwortlich gewesen ist, so bleibt doch immer klar, dass sich Menschen aus vielen verschiedenen Gründen umbringen und dass diese Suche nach den Gründen des Selbstmords am Ende immer nur auf die Abwesenheit einer Letztbegründung treffen kann. Der Roman unterlässt es gerade, der Erinnerung an den Bruder ihre Singularität zu nehmen, indem er dessen Selbstmord politisch deutet. Diese Offenheit oder Nicht-Motivierung wird durch den Dialog garantiert: Während das Leben der Protagonistin das Resultat einer sehr spezifischen, singulären Biografie darstellt (in der DDR geboren, ohne Vater aufgewachsen, bi-sexuell, Schwarz), hält die dialogische Spaltung der Erzählstimme diese singuläre Identität offen für die Artikulation einer Erfahrung, deren Zustandekommen so unterbestimmt und kontingent ist, dass sie eine 'universelle Anteilhabe' durch beliebige Leser:innen ermöglicht.

Hinzu kommt, dass die Semantik der Teilhabe im Roman auch explizit eingesetzt wird. Im Kontext des USA-Aufenthalts der Protagonistin werden dabei nichts anderes als Prozesse der Identifizierung ins Bild gerückt, Erlebnisse der Anerkennung und Resonanz: "Ständig schwarze Männer in Business-Suits, schwarze Jugendliche auf Skateboards, schwarze obdachlose Seniorinnen, die sich in die U-Bahn quetschen – ich bin auf einmal Teil davon. Das kannte ich nicht. / HM. UND DIE POLITISCHE LAGE? / Das ist die politische Lage."58 Zugehörigkeit und Teilhabe werden hier als interaktive Ereignisse, als Resonanzerfahrungen innerhalb einer je spezifischen politisch-sozialen Konjunktur beschrieben. Dass die Erzählerin hier vorübergehend Teil einer afroamerikanischen Realität wird, führt allerdings keineswegs dazu, dass sie sich entscheiden würde, dauerhaft in den USA zu leben. Insofern ist Gesine Hegers Lektüre, derzufolge der Heimatbegriff in Wenzels Roman eine Leerstelle sei,59 nur bedingt zuzustimmen. Es ist stattdessen die Identität selbst, welche die Leerstelle darstellt, oder genauer: welche zwischen der Fülle singulärer Erfahrungen und der Leere einer kontingenten sozialen Konstruktion immer in der Schwebe bleibt. Als in Ostdeutschland aufgewachsene Schwarze Person mit deutscher Staatsbürgerschaft teilt die Protagonistin weder die Erfahrung einer Vielzahl von Afroamerikaner:innen, die im ultraliberalen Kontext der USA ökonomisch schutzlos sind und sich tagtäglich gegen die Ideologie der White Supremacy zur Wehr setzen müssen, noch die Lebenswirklichkeit von ghanaischen Geflüchteten, die auf Fischerbooten über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind und in Deutschland nur geduldet leben. Wie die allermeisten ist sie jedoch eine Person, in der sich Diskriminierung und Privilegierung auf äußerst vielschichtige Weise überschneiden und nur relational beschreiben lassen; eine Person, die um die moralische Beurteilung der eigenen Lage und ihre politische Positionierung ständig ringt; eine Person, die in letzter Konsequenz nicht weiß, wer sie ist, die sich auch nicht immer schon und überall als Schwarz gelesen hat, und die auch nicht mit letzter Sicherheit sagen kann, woher all der Schmerz kommt, mit dem sie zu kämpfen hat.

Es ist seine besondere dialogische Form, die dem Roman ermöglicht, eine von der empirisch-singulären Erfahrung ausgehende Politisierung und eine universelle, den beschränkten Horizont dieser Erfahrung überschreitende Perspektive nebeneinander koexistieren zu lassen. Dabei setzt der Roman nicht einfach nur eine Suche nach der eigenen Identität in Szene, sondern stellt zugleich eine Arbeit an der poetischen Dimension sozialer Teilhabe dar, deren Anspruch und deren Verfahren bei Wenzel eine realistische Genealogie besitzen.

5. Teilhabe qua Formpluralität und Symbolisierung: Kim de l'Horizons Blutbuch (2022)

Auch Kim de l'Horizons 2022 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnetes Blutbuch lässt sich im Kontext einer Literaturgeschichte der Teilhabe produktiv lesen, kehrt jedoch ein ganz anderes poetologisches Erbe derselben hervor.

Eine formale Beschreibung des Buches muss damit beginnen, die ganz unterschiedlichen poetologischen Zugänge darzustellen, für welche sich die insgesamt fünf Teile des Buches jeweils entscheiden. Der erste Teil Die Suche nach Schwemmgut kreist um die Sprache von Mutter und Großmutter, 'Meer' und 'Großmeer', und sie setzt der ozeanischen Atmosphäre dieser Metaphorik eine Bewegung des Sammelns entgegen. Die 'Truckli' genannten Kästchen der Großmeer werden zum poetologischen Prinzip, welches der Text selbst anwendet, indem er Gegenstände sammelt und listet, sei es in Form von Überschriften („Großmeers Hände", Groosmeers Füsse", "Groosmeers Stoffe", "Großmeers Truckli", "Groosmeers Mund" usw.) oder in Form expliziter Listen mit dem Inventar Verstorbener, mit synonymen Verben oder Kräutern.60 Die Anknüpfung an avantgardistisch-experimentelle Textverfahren in dieser Exponierung paradigmatischer Strukturen setzt sich im zweiten Teil Die Suche nach der Kindheit insofern fort, als der Verlust der eigenen Stimme dort nicht nur mit der Beschneidung des kindlichen Körpers (insbesondere dem Vereisen einer Warze) und seiner polymorph-perversen Sexualität, sondern auch mit der Beschneidung des Textkörpers in Verbindung gebracht wird, nämlich der Beschränkung aller Sätze auf maximal sieben Wörter61 – ein Verfahren, das an Experimente der neoavantgardistischen Gruppe Oulipo um Raymond Queneau und Georges Perec erinnert. Wiederum ganz anders erzählt der dritte Teil Die Suche nach der Mutterblutbuche, der einerseits aus der mit Fußnoten versehenen Dokumentation einer Recherche über die Kulturgeschichte des für die eigene Kindheit entscheidenden Baums, einer Blutbuche, besteht, diese Recherche allerdings in eine tagebuchförmige, auf Gegenwärtigkeit drängende und explizit als popliterarisch ausgewiesene Inszenierung des eigenen ausschweifenden Sexlebens einbettet. Wie sich spätestens hier zeigt, versteht der Roman das Problem der Identität im Konflikt zwischen der eigenen non-binären Geschlechtsidentität, den rassistischen Aspekten in der eigenen Ökonomie des Begehrens und dem widersprüchlichen Klassenindex der eigenen Familiengeschichte auf dezidiert intersektionale Weise. Der vierte Teil Die Suche nach Rosmarie besteht dann in weiten Teilen aus Fallgeschichten von verfolgten Hexen, in denen sich das intergenerationelle Trauma, das insbesondere die Geschlechtsidentität der Erzählinstanz betrifft, dokumentieren soll. Die Autorschaft dieser Fallgeschichten wird der eigenen Mutter zugeschrieben, die sich in Reaktion auf das Geschenk von Silvia Federicis Caliban and the Witch (2004) durch ihr Kind auf eine Familienforschung mit atemberaubenden Ergebnissen begeben hat. Der fünfte Teil Coming full spiral besteht dann aus auf Englisch verfassten Briefe an die Großmutter, revidiert unter anderem die Behauptung der Ko-Autorschaft der Mutter im vierten Teil und enthält nicht zuletzt explizite Reflexionen über das autofiktionale Schreiben.

Wie ist diese immense poetische Formenvielfalt literaturhistorisch einzuordnen? Wie ich meine, knüpft die poetologische Lösung des Blutbuchs an ein dezidiert romantisches Erbe der Teilhabe-Poetik an. Zeigen lässt sich das unter anderem an dem spezifischen Verhältnis von Fiktion und Diskurs: Jedes Kapitel ist mit einem Bündel von theoretischen Epigraphen ausstaffiert, historisch reicht die Erzählung bis ins Mittelalter zurück und am Ende steht eine Literaturliste: All das verleiht dem Buch einen transzendentalpoetischen Charakter. Auffallend ist auch die explizite Mimesis-Polemik und die Kritik eines repräsentationalen Sprachverständnisses, exemplarisch im Spiel mit dem Kopieren der von der Mutter verfassten Fallgeschichten, die Kim zufällig findet, dann am Kopierer per Hand kopiert und die im Text dann in antiquarisch daherkommender Schreibmaschinenschrift gedruckt sind, nur um hinterher doch als eigene Erfindungen des Autors ausgewiesen zu werden: "Ich erfand den vierten Teil dieses Textes."62

Besonders deutlich wird das romantische Erbe allerdings, als sich die Erzählinstanz auf einmal entscheidet, "noch kurz über das klassische Kunstverständnis ab[zu]senfen mittels Goethe, der mir stets Unbehagen bereitet hat."63 Was sie an diesem Kunstverständnis irritiert, ist die Vorstellung von der Souveränität des männlichen Autors über sein Material, das er beherrscht, wobei "Form und Inhalt in absoluter Harmonie zusammengebumselt" werden.64 Das Blutbuch begegnet diesem Kunstverständnis natürlich nicht durch einen expliziten Rückgriff auf die Romantik, jedoch durch eklektisch zusammengetragene Theoreme des New Materialism:

Was ist, wenn die Sprache aus ihrer Form fliesst oder in verschiedene Formen plumpsen will? Was ist, wenn die schon lange verstummten Münder in der Sprache auch ein Sagen haben? Was ist, wenn Spachen eigene agencies haben, die Klänge selbst, aber ebenso die Themen, über die geschrieben wird – oder eher: MIT denen geschrieben wird? Wie sehen Texte aus, wenn nicht ein menschliches Meistersubjekt im Zentrum steht und die Welt begnadet ins Förmchen goethet? Wie sehen Texte aus, wenn ich ebenso Teil der Welt bin wie die Texte, wenn ich keinen Punkt ausserhalb von Text und Welt habe, aus dem ich, alles überblicken könnend, sie durchleuchte? Ich glaube nicht an die Menschen als souveräne Agent*innen. Ich glaube daran, dass alle Materien ihre eigenen Wirksamkeiten haben, dass Geschichten und Themen und Materien ebenso wie Sprachen und Medien immer auch ein Wörtchen mitzureden haben. Dass sie sich selbst mitgestalten. Ich glaube, dass alles, was wir anschauen, zurückschaut, und der Blick des Anderen macht mindestens so viel mit uns, wie wir mit ihm machen. Ich glaube, dass das Magie ist: die Wirksamkeit aller Dinge. Und an diese Magie glaube ich.65

Die neumaterialistisch aufgeladene Absage an Goethe im Namen von Glauben, Liebe (bzw. Sex) und einem magischen Denken: das ist die Signatur der romantischen Epoche.66 Die Erzählinstanz strebt hier nicht nach Identität, sondern letztlich nach 'Teilhabe am Absoluten'. Dies führt auch poetologisch zu der radikalen Vorstellung, dass Autor:in, Erzählinstanz, Figuren und Dinge gleichermaßen poetische Akteur:innen sind und sich die Urheberschaft des Textes teilen. Gerade diese so vom Text selbst erklärte Formvielfalt des Romans erweist sich allerdings als romantisch geprägt: Dass das Blutbuch an derselben Stelle gegen den Roman als eine bürgerliche Gattung weißer Männer polemisiert,67 kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine eigene Form vieles genau jener formlosen Form des Romans schuldet, dem wiederum die Romantiker nicht umsonst ihren Namen verdanken. Im Blutbuch plumpst die Sprache in der Tat in verschiedene Formen und wird damit zu einem Prisma der Sprachvielfalt, zum pars pro toto der Unendlichkeit von Individuen und Sprachen, welche die Welt bevölkern und die auf letztlich unaussprechliche Weise trotz ihrer radikalen Vereinzelung doch alle miteinander verbunden sind.

All dies dürfte bereits hinreichen, um das romantisch-platonische Erbe einer Teilhabe-Poetik des Blutbuchs plausibel zu machen, hinzukommt aber nicht weniger als der zentrale Signifikant des Romans: die zum Text eines Blutbuchs geronnene Blutbuche. Der Roman knüpft durch die kulturgeschichtliche Recherche nach jenem einen, alles organisierenden Signifikanten nicht nur an die Theorie des Symbols als einem natürlichen Zeichen an, das die Teilhabe des Referenten im Zeichen verbürgt, sondern er ruft darüber hinaus mit dem Blut auch noch das christliche Äquivalent jener Zeichentheorie, nämlich die Lehre der Transsubstantiation (Brot und Wein) auf, sowie mit dem Baum den Inbegriff der Verwurzelung der kulturellen Zeichenwelt in einem irdisch-chthonischen Sein. Die Blutbuche (insofern auch lesbar als romantisches Gegenstück zur realistisch-indexikalischen Judenbuche (1842) von Droste-Hülshoff) wird damit zum ultimativen Symbol, das neben den historisch gewachsenen Strukturen von race, class, gender und der von ihnen verursachten Gewalt auch gleich noch das Symbolische selbst symbolisiert. Der Titel des Buches drängt sich, so betrachtet, als ultimativer Beleg für die These auf, dass auch Kim de l'Horizons Blutbuch sich auf der Suche nach einer poetischen Lösung für das Teilhabe-Problem in der Literatur befindet und dabei ein romantisches Erbe angetreten hat.

6. Fazit

Der Begriff der Teilhabe könnte für die Literatur auch noch einen radikaleren als den hier skizzierten poetologischen Horizont besitzen und etwa an die Auflösung der etablierten literarischen Institutionen mit der für sie konstitutiven Form der Trennung von Autorschaft und Publikum appellieren. Womöglich steht in letzter Konsequenz nicht weniger auf dem Spiel, wenn heute über Autofiktion und Identität in der Gegenwartsliteratur debattiert wird. Die hier vorgelegten Beobachtungen haben jedoch einen bescheideneren Weg eingeschlagen und versucht, das soziale und politische Problem der Teilhabe auch als ein ästhetisches zu profilieren. Dabei können die Romane von Olivia Wenzel und Kim de l'Horizon, schematisch gesprochen, für die Weiterführung einer realistischen und einer romantischen Poetik der Teilhabe in der Gegenwart einstehen. Damit sind die beiden von außen als exzentrisch positionierten Texte sicherlich allzu glatt in eine europäische Literaturgeschichte eingemeindet, gegen die sie sich teilweise explizit positionieren. Andererseits aber entgeht eine solche Perspektive einer anderen Gefahr, nämlich der Gefahr der literaturhistorischen Ghettoisierung. In Anbetracht der Erfahrungen, die in der Vergangenheit etwa in der sog. Frauen- oder der Arbeiter:innenliteraturforschung gesammelt wurden, plädiere ich trotz aller Risiken der Appropriation für literaturhistorische Tiefe in der Auseinandersetzung mit der Gegenwartsliteratur. Im Zentrum sollte dabei die Frage nach poetologischen Prämissen und poetischen Verfahren stehen. Nur eine Form- und Verfahrensgeschichte der literarischen Repräsentation kann zeigen, dass das Teilhabe-Problem die Gegenwartsliteratur auch deshalb umtreibt, weil mimesis und methexis schon seit Längerem in einem ebenso spannungsreichen wie intimen Verhältnis zueinander stehen.

Notes

  1. Logbuch Suhrkamp, "Literaturzeitschriften im Porträt 16”, letzter Zugriff 08.08.23, https://www.logbuch-suhrkamp.de/redaktion-logbuch/literaturzeitschriften-im-portraet-16/. [^]
  2. So beschreibt etwa Moritz Baßler den international style eines populären Realismus. Baßler, "Der neue Midcult", POP: Kultur und Kritik 18 (2021): 132–149; Moritz Baßler, Der populäre Realismus. Vom international style des gegenwärtigen Erzählens (München: C.H. Beck, 2022). [^]
  3. Chantal Jaquet, Zwischen den Klassen. Über die Nicht-Reproduktion sozialer Macht, übers. v. Horst Brühmann (Konstanz: konstanz university press, 2018). [^]
  4. Im Kontext der Bildwissenschaften gibt es bereits eine recht breite Debatte über das Verhältnis von mimesis und methexis, auf die ich hier gelegentlich verweise, die für eine literaturwissenschaftliche Perspektive allerdings nur partiell anschlussfähig ist. Vgl. vor allem Aloisia Moser, "Mimesis und Methexis. Ähnlichkeit und Teilhabe", in Zeiche(n) setzen. Bedeutungsgenerierung im Mäandern zwischen Bildern und Begriffen, hg. v. Monika Leisch-Kiesl (Bielefeld: Transcript, 2020), 167–183. Für eine Dialektik von mimesis und methexis argumentiert in diesem Zusammenhang auch Jean-Luc Nancy, "Das Bild: Mimesis & Methexis", in Bildtheorien aus Frankreich. Eine Anthologie, hg. v. Emmanuel Alloa (München: Fink, 2011), 349–369. Außerdem Julia Regina Meer, Expeausition. Bild und Malerei als korporale Vollzugsformen (Bielefeld: transcript, 2021), 179–183. [^]
  5. Der Begriff der Ideenlehre ist insofern irreführend, als Platon dieselbe nirgendwo systematisch dargestellt hat. Vgl. einführend Christian Schäfer, "Idee/Form/Gestalt/Wesen", in Platon-Lexikon, hg. v. Christian Schäfer (Darmstadt: WBG, 2007), 157–165. [^]
  6. Ernst Hoffmann, "Methexis und Metaxy bei Platon”, in Drei Schriften zur griechischen Philosophie (Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 1964), 29. Vgl. einführend auch Veronika Roth, Christian Schäfer: "Teilhabe", in Platon-Lexikon, hg. v. Christian Schäfer, (Darmstadt: WBG, 2007), 277–282. [^]
  7. Vgl. Platon, Politeia (Der Staat), Werke in acht Bänden, hg. v. Günther Eigler, Bd. 4 (Darmstadt: WBG, 2016), 514a–519e. [^]
  8. Moser, "Mimesis und Methexis”, 173. [^]
  9. Moser, "Mimesis und Methexis”, 167. [^]
  10. Aristoteles, Die Poetik. Griechisch/Deutsch, übers. v. Manfred Fuhrmann (Stuttgart: Reclam, 1994), 11. [^]
  11. Aristoteles, Die Poetik, 29. [^]
  12. Vgl. Rolf Schönberger, "Teilhabe”, in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter u.a., Bd. 10 (Basel: Schwabe, 1998), Sp. 961. [^]
  13. Aristoteles, Die Poetik, 17, 49. [^]
  14. Schönberger, "Teilhabe”, 962f. Zur Funktion des Begriffs in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystik vgl. Niklaus Largier, Figures of Possibility: Aesthetic Experience, Mysticism, and the Play of the Senses (Stanford: Standford University Press, 2022). [^]
  15. Nikolaus von Kues, De coniecturis / Mutmaßungen, Philosophisch-theologische Werke. Lateinisch-Deutsch, Bd. 2, (Hamburg: Felix Meiner, 2002), 63. [^]
  16. Zum Teilhabe-Theorem bei Cusanus vgl. Arne Moritz, "Der Geist als Bild göttlicher Einfaltung (De mente c. 3 und 4)", in: Cusanus, Der Laie über den Geist / Idiota de ment!e, hg. v. Isabelle Mandrella (Berlin, Boston: de Gruyter, 2021), 63–84; sowie Matthieu Van der Meer, "Imago und Participatio: Das Verhältnis zwischen dem Bildsein und der Teilhabe des Geistes in De coniecturis, De filiatione Dei und Idiota de mente", in Nicolaus Cusanus: Perspektiven seiner Geistphilosophie, hg. v. Harald Schwaetzer (Regensburg: Roderer, 2003), 65–78. [^]
  17. Vgl. Walter Erhart, "Mimesis”, in Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, hg. v. Klaus Weimar u.a., Bd. 2 (Berlin: de Gruyter, 2000), 595–600. [^]
  18. Zur allmählichen Umbesetzung des Begriffs in Richtung Fiktion und Einbildungskraft in der Frühen Neuzeit vgl. Volkhard Wels, Der Begriff der Dichtung in der Frühen Neuzeit (Berlin: de Gruyter 2009), 43–197. [^]
  19. Zacharias Becker, "Beantwortung der Frage: 'Kann irgend eine Art von Täuschung dem Volke zuträglich sein […]?’”, in Nützt es dem Volke, betrogen zu werden? / Est-il utile au Peuple d'être trompé? Die Preisfrage der Preußischen Akademie für 1780, hg. v. Hans Adler, Bd. 1 (Stuttgart/Bad Cannstatt: frommann-holzboog, 2007), 109. [^]
  20. Becker, "Beantwortung der Frage”, 108. [^]
  21. Zur Einführung vgl. Ursula Tölle, Rudolph Zacharias Becker: Versuche der Volksaufklärung im 18. Jahrhundert in Deutschland (Münster u.a.: Waxmann, 1994). [^]
  22. Vgl. hierzu Annika Hildebrandt, Roman Widder, "Fürsprache: Subalterne Literatur seit der Volksaufklärung. Einleitung zum Schwerpunkt," in Fürsprache. Subalterne Literatur seit der Volksaufklärung. Schwerpunkt der Zeitschrift für Germanistik 1 (2024), 7–21. [^]
  23. Peter T. Struck, "The Symbol vs. Mimesis. 'Invocation Theories’ of Literature”, in Mimesis. Studien zur literarischen Representation / Studies on Literary Representation, hg. v. Bernhard F. Scholz (Tübingen: A. Francke, 1998), 149–165. [^]
  24. Friedrich Schlegel, "Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst”, in Kritische Ausgabe der Vorlesungen. Bd. 1: Vorlesungen über Ästhetik, hg. v. Ernst Behler (München u.a.: Schöningh, 1989), 250. [^]
  25. Detlef Kremer, "Ästhetik und Kulturpolitik in A.W. Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst", in Der Europäer August Wilhelm Schlegel. Romantischer Kulturtransfer – romantische Wissenswelten, hg. v. York-Gothart Mix u. Jochen Strobel (Berlin, New York: de Gruyter, 2010), 37. [^]
  26. Alexander J. B. Hampton, Romanticism and the Re-Invention of Modern Religion The Reconciliation of German Idealism and Platonic Realism (Cambridge: Cambridge University Press, 2019). [^]
  27. Zur methexis als "unifying productive principle of all reality” bei Schlegel vgl. auch Alexander J. B. Hampton, "Schlegel. The Poetic Search for an Unknown God”, in Christian Platonism. A history, hg. v. Alexander J. B. Hampton u. John Peter Kenney (Cambridge: Cambridge University Press, 2021), 136. [^]
  28. Friedrich Schlegel, "Ätheneums-Fragmente”, in Kritische Ausgabe Bd. 2: Charakteristiken und Kritiken I, hg. v. Hans Eichner (München u.a.: Schöningh, 1967), 204. [^]
  29. Vgl. hierzu auch Jan Urbich, "Darstellung und Reflexion. Zu Friedrich Schlegel und Walter Benjamin”, in Darstellung und Erkenntnis Beiträge zur Rolle nichtpropositionaler Erkenntnisformen in der deutschen Philosophie und Literatur nach Kant, hg. v. Brady Bowman (Paderborn: mentis, 2007), 211–229. [^]
  30. Vgl. einführend hierzu Nicola Kaminski, Kreuz-Gänge. Romanexperimente der deutschen Romantik (Berlin, New York 2001). [^]
  31. Zur Entwicklung der Transzendentalpoesie Schlegels aus dem platonischen methexis-Theorem vgl. auch Helmut Schwartzrauber, Fiktion der Fiktion. Begründung und Bewahrung des Erzählens durch theoretische Selbstreflexion im Werk N. Hawthornes und E. A. Poes (Heidelberg: Winter, 2000), 1–18. [^]
  32. Grundlegend hierzu Michael Titzmann, Strukturwandel der philosophischen Ästhetik 1800–1880: der Symbolbegriff als Paradigma (München: Fink, 1978), 141–166. [^]
  33. Der Roman folgt in vielem dem längst überlebten Genre des Pikaro-Romans. Jeremias Gotthelf, Der Bauern=Spiegel, oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, 3. Aufl. (Berlin: Julius Springer, 1851). [^]
  34. Vgl. Caspar Hirzel, Die Wirtschaft eines philosophischen Bauers (Zürich: Heidegger und Compagnie, 1761). [^]
  35. Gustav Freytag, "Deutsche Romane”, in Die Grenzboten 12 (1853) 1. Sem. 1. Bd., 78. [^]
  36. Jüngst hervorragend rekonstruiert von Matthias Grüne, Realistische Narratologie. Otto Ludwigs "Romanstudien" im Kontext einer Geschichte der Erzähltheorie (Berlin: de Gruyter, 2018), 207–297. [^]
  37. Vgl. Claudia Stockinger, An den Ursprüngen populärer Serialität: Das Familienblatt "Die Gartenlaube" (Göttingen: Wallstein, 2018). [^]
  38. Grüne beschreibt Ludwigs Konzept nicht umsonst als Vorläufer zur Entstehung einer Hermeneutik der Einfühlung etwa bei Dilthey. Zur Geschichte des für Fragen der 'Identifizierung' zentralen, im 19. Jahrhundert erstmals theoretisch erfassten Begriffs der Einfühlung vgl. Claudia Breger, Fritz Breithaupt, hg., Empathie und Erzählung (Freiburg i.Br.: Rombach, 2010). [^]
  39. Otto Ludwig, Romane und Romanstudien (München, Wien: Hanser, 1997), hg. v. William J. Lillyman, 583f. [^]
  40. Otto Ludwig, "Spannung in Erzählung und Drama”, in Romanstudien: historisch-kritische Edition, hg. v. Matthias Grüne (Weimar: Böhlau, 2021), 33. [^]
  41. Moser, "Mimesis und Methexis”, 178. [^]
  42. Moser, "Mimesis und Methexis”, 179. [^]
  43. Vgl. etwa die demokratietheoretischen Überlegungen von Karsten Schubert und Helge Schwiertz, "Konstruktivistische Identitätspolitik. Warum Demokratie partikulare Positionierung erfordert”, Zeitschrift für Politikwissenschaft 31 (2021): 565–593. Sowie jetzt auch Karsten Schubert, Lob der Identitätspolitik (München: C.H. Beck, 2024). [^]
  44. Olivia Wenzel, 1000 serpentinen angst (Frankfurt am Main: Fischer, 2020), 12. [^]
  45. Wenzel, 1000 serpentinen angst, 325. [^]
  46. Wenzel, 1000 serpentinen angst, 39. [^]
  47. Die drei hier besprochenen Dimensionen erkennen in ihrem Beitrag auch Sabrina Huber, Antonia Villinger: "Schwarz, schwanger und selten sicher: Über unheimliche Automatenszenen und serpentinenförmiges Erzählen in Olivia Wenzels 1000 Serpentinen Angst (2020)", in Intersektionalität und erzählte Welten. Literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Perspektiven, hg. v. Verónica Abrego u.a. (Darmstadt: wbg, 2023), 133–63. [^]
  48. Wenzel, 1000 serpentinen angst, 338. [^]
  49. Priscilla Layne, "’That’s How It Is’. Quotidian Violence and Resistance in Olivia Wenzel’s 1000 Coils of Fear”, Novel 55, no. 1 (2022): 38. [^]
  50. Layne, "’That’s How It Is’”, 47. [^]
  51. Layne, "’That’s How It Is’”, 50. [^]
  52. Layne, "'That’s How It Is’”, 56. [^]
  53. Layne, "That’s How It Is’”, 49. [^]
  54. Sarah Colvin, "Temporal Insurrections in Olivia Wenzel’s 1000 Serpentinen Angst and Sharon Dodua Otoo’s Adas Raum”, in German Life and Letters 75, no. 1 (2022): 141. [^]
  55. Denise Henschel, "Valences of the Human: Grief and Queer Utopia in Olga Grjasnowa’s Der Russe ist einer, der Birken liebt and Olivia Wenzel’s 1000 Serpentinen Angst”, in Seminar: A Journal of Germanic Studies 58, no. 3 (2022): 285. [^]
  56. Dafür spricht auch die ungemein breite Rezeption des Romans. Zu den diffizilen Fragen einer Rezeptionstheorie, in deren Zentrum seit Wolfgang Iser das Problem der Leerstelle steht, sei hier nur auf die Arbeit von Nadine Dablé verwiesen: Nadine Dablé, Leerstellen transmedial. Auslassungsphänomene als narrative Strategie in Film und Fernsehen (Bielefeld: transcript, 2014), 31–60. [^]
  57. Vgl. Layne, "’That’s How It Is’”, 40f., 48, 55. Der Titel (nämlich die Serpentinen) spielen auch in der Interpretation von Huber, Villinger, "Schwarz, schwanger und selten sicher" (s.o.) eine zentrale Rolle. Die Serpentinen-Metapher kommt im Roman selbst jedoch gar nicht vor. Es scheint sich um einen Verlagstitel zu handeln. [^]
  58. Wenzel, 1000 serpentinen angst, 51. [^]
  59. Gesine Heger, "Ist das noch realistisch, glaubhaft, echt? Zur Leerstelle des Heimatbegriffs und zum Archiv rassistischer Erfahrungen in 1000 Serpentinen Angst von Olivia Wenzel", in Where Are We Now? Orientierungen nach der Postmoderne. Was war die postironische Kunst?, hg. v. Sebastian Berlich u.a. (Bielefeld: transcript, 2022), 346–60. [^]
  60. Kim de l’Horizon, Blutbuch (Köln: DuMont, 2022), 54f., 78f., 105. [^]
  61. Vgl. hierzu insbesondere de l’Horizon, Blutbuch, 100f. [^]
  62. De l’Horizon, Blutbuch, 309. [^]
  63. De l’Horizon, Blutbuch, 152. [^]
  64. De l’Horizon, Blutbuch, 153. [^]
  65. De l’Horizon, Blutbuch, 154. [^]
  66. Zu denken wäre etwa an eines der wichtigsten Dokumente der politischen Romantik, Novalis’ Fragmentensammlung Glauben und Liebe oder: Der König und die Königin (1798). [^]
  67. Vgl. de l'Horizon, Blutbuch, 153. [^]

Literatur

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