1. "Arbeit und mehr als Arbeit"
"Ich weiß nicht, was sich die Leute unter einem Schriftsteller vorstellen. Aber jede Vorstellung ist sicher falsch, was mich betrifft, bin ich kein Schriftsteller, ich bin jemand, der schreibt."1 In Thomas Bernhards Unbehagen gegenüber dem Begriff des Schriftstellers drückt sich eine Eigenheit des modernen Verständnisses von Autorschaft aus: Konnte für das 18. Jahrhundert noch gelten, dass Autor:innen diejenigen sind, die im "Druck erscheinen",2 und musste man also drucktechnisch und verlegerisch allererst zur Autorin gemacht werden, hat dieser Begriff eine eigenartig existenzielle Wendung erfahren. Roland Barthes hat das auf die Formel gebracht, ein Schriftsteller sei in der Moderne weniger einer, "der etwas schreibt, sondern jemand, der schlechterdings schreibt".3 'Schreiben' avanciert zum intransitiven Verb.
Welche Produktionsbedingungen, welche Marktgegebenheiten und welche Institutionen machen einen Begriff von literarischer Arbeit möglich, der ein solches Verständnis vom Schreiben einschließt? Und welche Verheißungen verbinden sich mit einer Tätigkeit, von der, mit Bernhard gesprochen, "jede Vorstellung […] sicher falsch" ist? Carolin Amlinger geht in ihrer Studie Schreiben: Eine Soziologie literarischer Arbeit auf mehr als 700 Seiten diesen Fragen nach. Sie stellt ihre Studie unter zwei Vorzeichen: Notorisch prekäre literarische Arbeit ist heute auf eine besondere Weise bedroht. In Deutschland werden immer weniger Bücher gekauft und es wird immer weniger gelesen. Zugleich hat die Soziologie einen langen Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung4 ausgemacht, im Zuge dessen künstlerische Arbeit zu einem Idol neoliberal organisierter kapitalistischer Arbeitszusammenhänge geworden ist. Prekarität wird hier mit dem Versprechen auf kreative Selbstverwirklichung gerechtfertigt. Diese Entwicklung profitiert von einem phantasmatischen Bild künstlerischer und damit auch literarischer Praxis: "Literarisches Arbeiten", schreibt Amlinger, "stellt sich dar als ein Gegenentwurf zur entzauberten und entfremdeten Lohnarbeit, als das Versprechen einer sinnhaften Tätigkeit, die um ihrer selbst willen ausgeübt wird. Schreiben […] ist Arbeit und mehr als Arbeit."5
Wenn, wie jüngst Christoph Menke argumentiert hat, der Neoliberalismus mit einem spezifischen Versprechen auf "Befreiung" und unternehmerisch zu verwirklichende Selbstständigkeit einhergeht, dann sind zentrale ästhetische Kategorien – Urheberschaft, Autonomie, Freiheit, kreatives Vermögen – einem ideologischen Sog ausgesetzt.6 Amlingers Studie wandelt daher auf einem schmalen Grat: einerseits ästhetisch-ökonomische Verquickungen im gegenwärtigen Begriff literarischer Arbeit nachzuweisen, zugleich aber analytisch sensibel zu bleiben für die Widerständigkeit literarischer Arbeit gegen ihre ideologische Vereinnahmung und gegen ihre tatsächliche (neoliberale) Umgestaltung.
In einer Konstellation, in der kreative Arbeit gleichzeitig bedroht und auf verzerrte Weise veralltäglicht wird, scheint das Schreiben auf neue Weise faszinierend zu sein – gerade als der selbstständige und asketisch anmutende Akt, als den der Titel von Amlingers Buch es vorstellt. Das große Interesse, das nicht zuletzt das deutsche Feuilleton Amlingers Dissertationsschrift entgegengebracht hat, zeigt jedenfalls, dass ihre Arbeit einen Nerv trifft. Vor wenigen Jahren hat der Soziologe Clayton Childress eine mit Schreiben in vieler Hinsicht vergleichbare und ebenfalls breit und intensiv rezipierte Studie über den amerikanischen Literaturbetrieb und die Creation, Production and Reception of a Novel7 publiziert. Wie Childress orientiert sich auch Amlinger an Pierre Bourdieus Feldtheorie. Anders als bei Bourdieu und anders als bei Childress fehlt bei Amlinger allerdings der Blick zwischen die Buchdeckel und auf den konkreten – entstehenden oder vermarkteten – literarischen Text. Eine Begründung dafür gibt sie nicht.8 Indem sie darauf verzichtet, Schreiben auch unter Berücksichtigung der Literatur verstehen zu wollen, die es hervorbringt, tendiert ihre Studie dazu, es statt in seiner Besonderheit als literarische Arbeit in seiner allgemeinen Form zu analysieren, kreative Arbeit zu sein.
Hierzu schon an dieser Stelle ein Beispiel: Mit Begriffen Hartmut Rosas versteht Amlinger das literarische Schreiben als einen Prozess, der von einer "geglückte[n] Resonanzbeziehung" zwischen Autor:in und Welt ausgeht, "affektive Reaktion[en] in der Autorin aus[löst]", zu Erfahrungen von "Selbstwirksamkeit" führt und zuweilen einen von einer "gesteigerten Affektmobilisierung" begleiteten "Schreibrausch" bewirkt (487ff.). Schreiben auf diese Weise als einen körperlichen Akt und als ein glückliches Affektgeschehen vorzustellen, führt auf ein Vokabular, das ein wenig unscharf gegen dasjenige einer Ideologie kreativer Arbeit als Verwirklichung von Freiheit qua spezifischer Produktionsweise abgegrenzt ist. Fragen literarischer Formgebung blendet Amlingers Studie – die unter literarischem Schreiben hauptsächlich die Produktion von Fiktionen (481), ein "Geschichtenschreiben" (483) und das Schreiben von Büchern versteht – zwar nicht aus. Sie stellt sie aber zurück und bespricht sie abstrakt statt in Auseinandersetzung mit konkreten Texten. So tut sich just da eine analytische Leerstelle auf, wo sich, folgt man Adornos Ästhetischer Theorie, auf die sich Amlinger wiederholt bezieht, entscheiden würde, in welches Verhältnis zur Gesellschaft sich das jeweilige literarische Arbeiten tatsächlich setzt.9
Statt literarischer Texte, in denen sich das Schreiben materialisiert, sprechen bei Amlinger Autor:innen: Sie stützt ihre Analyse auf 18 qualitativ ausgewertete Interviews, die sie mit anonym zitierten und in einem Anhang fall-förmig vorgestellten, ganz unterschiedlich erfolgreichen Autor:innen verschiedener Generationen – alle zumindest auch Autor:innen von Romanen – geführt hat. Im so dem Autorensubjekt methodisch eingeräumten Privileg tritt ihre Studie in ein interessantes (und nicht unproblematisches) Verhältnis zur Ideologie des literarischen Felds, die literarische Produktion zum schriftstellerischen Schöpfungsakt verklärt.10 Ertragreich ist ihre Methode deshalb besonders da, wo sie sich mit den im literarischen Feld waltenden Phantasmen oder, in Bourdieus Terminologie, mit der illusio dieses Felds auseinandersetzt: mit der Ideologie, die Akteur:innen dazu bringt, sich auf die Kämpfe des literarischen Felds einzulassen.
Drei große Kapitel umfasst Amlingers Arbeit. Zusammengenommen stellen sie dar, wie sich der Markt entwickelt hat, auf dem literarische Texte als Waren mit vergleichbarem Tauschwert gehandelt werden, wie die Institutionen beschaffen sind, die Literatur ihren symbolischen Wert und den (vermarktbaren) Glanz ihrer Einzigartigkeit verleihen, und welchen Habitus sich verschiedene Akteur:innen in diesem Kräftefeld aus Markt und Literaturbetrieb angeeignet haben.
Das erste Kapitel erzählt die Geschichte des von Amlinger so bezeichneten "ästhetischen Wirtschaftens" in (West-)Deutschland: Es behandelt die Zeit zwischen 1871 und 1918, in der sich im Zusammenspiel mit einem nun kapitalistischen Buchmarkt ein autonomes literarisches Feld im Bourdieu'schen Sinne herausbildet; dann die Epoche einer emergierenden Kulturindustrie von 1948 bis 1990 und die Eigenheiten literarischer Arbeit in einem von zunehmender Konkurrenz, der Dominanz großer Medienkonzerne und der staatlichen Vereinnahmung von 'Kultur' geprägten Feld; schließlich die Zeit von 1990 bis in die Gegenwart der Corona-Pandemie und die "disruptiven" (289) Auswirkungen der Digitalökonomie auf den Buchmarkt. Ihre Periodisierung begründet Amlinger damit, dass für sie "von Interesse […] jene Zeiten [sind], in denen alles in Bewegung ist, in denen, um mit Marx und Engels zu sprechen, 'alle festen eingerosteten Verhältnisse […] aufgelöst' [werden] und die wirtschaftliche Dynamik ästhetischer Ökonomien klar zutage tritt" (52). Dass der gesamte Zeitraum zwischen 1871 und der Gegenwart unter diesem Gesichtspunkt interessant und just die Zeit zwischen 1918 und 1945 zu vernachlässigen ist, erscheint etwas willkürlich.
Im zweiten Kapitel analysiert Amlinger die "gesellschaftliche Einbettung" literarischer Arbeit in Institutionen des gegenwärtigen Literaturbetriebs – die "Voraussetzung der Vereinzelung" literarischen Schreibens (516). Hier setzt sie sich ausgehend von Ergebnissen der Schreibprozessforschung und von Theorien des Schreibens mit dem tatsächlichen Schreibakt und mit dem Produktionsprozess auseinander, in dessen Verlauf aus einem Manuskript ein veröffentlichtes Werk und eine vermarktbare Ware wird. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem "normativen Selbstentwurf", als den Amlinger Autorschaft begreift (559), und mit der Frage, "in welcher Weise Autor:innen ihren Beruf als autonom deuten und ob sie bestimmte Praktiken generieren, die diese arbeitsbezogene Autonomie kultivieren oder vielleicht auch (ob gewollt oder ungewollt) unterminieren" (616).
2. Schriftstellerberuf, Literaturbetrieb und der "Doppelcharakter der Marktdynamik
Schriftsteller:innen, so stellt der französische Soziologe Bernhard Lahire fest, führen ein eigenartiges Doppelleben "zwischen Beruf und Berufung".11 Trotz "zunehmende[r] Verberuflichung" (348) durch Schreibschulen und das von ihnen vergebene Diplom gibt es auch heute keine geregelten Zugangsbedingungen zur Profession. Arbeit und Leben fließen im Schriftstellerberuf ineinander. Alle von ihr interviewten Autor:innen, hält Amlinger fest, führen ihr Leben so, dass es das Schreiben ermöglicht: "[D]as ordnende Prinzip ihrer Lebensführung [ist] die literarische Tätigkeit" (339).
Seit der Entstehung eines autonomen literarischen Felds in der Kaiserzeit und bis in die Gegenwart hinein lebt die Mehrheit der Schriftsteller:innen prekär, muss die mit der literarischen Arbeit einhergehenden Risiken abfedern lernen und kann sich nicht durch literarisches Schreiben allein finanzieren – während zugleich die traditionellen Berufe zur Kompensation schriftstellerischer Risiken in den letzten Jahrzehnten zunehmend unsicher und unprofitabel werden (vgl. 627ff.). Einen Befund der Arbeitswissenschaften aufgreifend bemerkt Amlinger, dass "diese prekäre Dimension der Arbeit das Selbstverständnis von Künstler:innen und Kreativen nur partiell prägt". Einen Grund sieht sie im "Freiheitsversprechen" der Kunst (344).
Gegen welche Zwänge setzt sich dieses Versprechen ab und welche sozialen Strukturen geben ihm Form? Als Autor:innen zu reüssieren heißt für Schriftsteller:innen, sich in einem "nur wenig formalisiert[en]" sozialen Feld zurechtfinden zu müssen (396). Wie dieses Feld geregelt ist und welche Dynamik es ausbildet, die "Regulationsweisen literarischer Arbeit" (360) und die Institutionen der literarischen Öffentlichkeit, lassen sich – dies eine Grundthese von Amlingers Studie – nicht unabhängig von den Entwicklungen des Buch- und Literaturmarkts begreifen. So gestaltet sich das literarische Feld zwischen 1871 und 1918 ihrer Analyse zufolge als Effekt des "Doppelcharakter der Marktdynamik" (82): Einerseits setzt die Emergenz des modernen, kapitalistischen Buchmarkts das literarische Feld als autonomes soziales Feld frei. Verlage, die jetzt auch drucken und binden dürfen und so die ganze Buchproduktion in die Hand nehmen, differenzieren sich aus: Lektorat, Herstellung, Werbung, Vertrieb und Verlagsvertretung werden zu eigenständigen Bereichen (76). Neben Großverlagen, die als Kapitalgesellschaften auftreten, prägen Individual- oder Kulturverleger wie Fischer, Ullstein oder Insel das Feld. Sie publizieren insbesondere zeitgenössische Autor:innen und etablieren das Modell der lebenslangen Bindung von Autor:innen an Verlage. Andererseits gefährdet der kapitalistische Markt, auf dem das Buch zum in Schaufenstern ausgelegten, in Periodika beworbenen und in Bahnhofsbuchhandlungen, Warenhäusern und im mobilen Buchhandel vertriebenen Massenmedium und zum Medium einer "zweiten Leserevolution" wird (69ff.) wird, das ästhetische Wirtschaften und die Akteur:innen dieses Wirtschaftens. Als Folge treten den Markt begrenzende Institutionen und Regulierungen auf den Plan, etwa die Ladenpreisbindung für Bücher, eine moderne Fassung des Urheberrechts und eine Reihe von Schriftsteller-Verbänden.
Auch für die Zeit zwischen 1948 und 1990 zeigt Amlinger, dass sich das literarische Feld nicht unabhängig vom Buchmarkt, dass sich die Formen, die schriftstellerische Arbeit und ihre Regulierungen annehmen, nicht unabhängig von ökonomischen Dynamiken verstehen lassen. Der Buchmarkt verzeichnet in dieser Zeit eine rasante Umsatzentwicklung: von 0,6 Milliarden DM 1951 zu 7,8 Milliarden DM Anfang der 1980er. Dem Umsatzvolumen nach ist er so mit dem Schiffsbau, mit der Eisen- oder Stahlproduktion vergleichbar. Zugleich beginnt die Unterscheidung zwischen Groß- und Kulturverlagen zu erodieren. Der Markt ist jetzt geprägt von großen Medienunternehmen wie Bertelsmann, Springer und Holtzbrinck, die inhabergeführte Kulturverlage (wie Fischer, Ullstein, Goldmann, Piper) aufkaufen und in deren Portfolio die Belletristik nur ein Produkt unter anderen ist. Nach amerikanischem Vorbild ist der kulturindustrielle Buchmarkt dieser Zeit am Wettbewerb um Bestseller ausgerichtet, die für Publikumsverlage zum existenziellen Faktor werden. "Signum einer der entscheidendsten Verschiebungen innerhalb des literarischen Verlagsprogramms" ist das erstmalige Erscheinen der Spiegel-Bestsellerliste 1962 (179). Das Spekulieren auf den Bestseller bringt Auktionen um Manuskripte, große Lesetourneen, Vorabverträge mit Auslandsverlagen, Film, Fernsehen und Rundfunk mit sich. Das Lektorat verliert an Bedeutung, die der Marketingabteilungen steigt ebenso wie die von Literaturagent:innen. Eine "Standardisierung der Buchwaren durch literarische Trends" ist die Folge (245), ökonomisch wenig vielversprechende Buchprojekte müssen durch ertragreiche Titel querfinanziert werden.
Dass Autor:innen zunehmend von großen Medienkonzernen vermarktet werden, lässt sie zu "Medienautoren" (408) avancieren, die sich immer weniger über ein bestimmtes Medium definieren können. Dieser Umstand ist, wie Amlinger argumentiert, reflektiert in der Neufassung des Urheberrechts von 1965. Es macht "die künstlerisch-kreative Leistung zu einem einklagbaren Recht" (197). Zugleich wird mit der Gründung der VG-Wort, der Einführung des Künstlersozialversicherungsgesetzes, der Einrichtung der Künstlersozialkasse und der Bestimmung eines verminderten Mehrwertsteuersatzes für Bücher Schriftsteller:innen und ihrer Arbeit ein besonderer sozialer Status eingeräumt. Das bedeutet aber zugleich – ein weiteres Phänomen mit doppeltem Charakter also – "die soziale Inklusion der Akteure, mithin auch die Integration ihrer Kritik am kapitalistischen Warentausch [und die] Ausweitung des Marktprinzips auf nahezu alle Bereiche des literarischen Feldes" (198).
Wie seine Vorgeschichte erzählt Amlinger auch die Entwicklung des Literaturmarkts der letzten Jahrzehnte im ersten Großkapitel und weitgehend in einem (sehr eigenständigen) re-read der Forschung. Wie zuvor hat man es auch weiterhin mit einem Markt zu tun, auf dem auf Bestseller spekuliert wird und auf dem ein Zwang zu "permanente[r] Innovation" herrscht, der "eine verhängnisvolle Einheit mit dem künstlerischen Ideal des Neuen eingeht" (144). Internationalisierung und Marktkonzentration nehmen weiter zu, seit der Jahrtausendwende gerät der Buchmarkt aber zunehmend in die Krise. Amlinger macht das an verstärkter Titelproduktion bei sinkenden Umsätzen, dem Rückgang der täglichen Lesedauer und den vielen Fusionierungen und Übernahmen fest. Der gegenwärtige Buchmarkt steht im Zeichen der sich in Literaturproduktion, Buchhandel, Leseverhalten und Kritik niederschlagenden Digitalisierung und im Zeichen des neoliberalen Programms, die Gesellschaft mit der Logik ökonomischen Wettbewerbs zu durchdringen. So werden beispielsweise die Verlage des Holtzbrinck-Konzerns im Jahr 2000 von McKinsey "restrukturiert", um den Wettbewerb innerhalb des Unternehmens zu forcieren (313). Die solcherart beabsichtigte "managementgesteuerte Marktzentrierung der Verlage" erreicht jedoch Grenzen. Wegen der Unabsehbarkeit von Bucherfolgen und der besonderen Regulierung des Buchmarkts erweist es sich als unprofitabel, "[d]as Buch wie eine ordinäre Ware zu behandeln" (331). Man hat daher, wie Amlinger konstatiert, im letzten Jahrzehnt erkannt, dass der ökonomische Erfolg von Verlagen von verlegerischem Geschick und Eigenverantwortung abhängt.
Amlingers Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb, dem Schriftstellerberuf und dem Schreiben der Gegenwart folgt im zweiten Kapitel und ist methodisch eigenständiger, weil von den Ergebnissen der von ihr geführten Interviews gestützt. Dass sie die Darstellung des gegenwärtigen literarischen Felds nicht direkt auf die Eigenheiten des literarischen Markts bezieht, verwundert, besonders angesichts der neoliberal organisierten Übersetzung sozialer in ökonomische Beziehungen.
Im zweiten, in knappe Abschnitte unterteilten und dadurch etwas kurzatmigen Kapitel arbeitet Amlinger zweierlei heraus: Erstens wie sich an Diskussionen und Anfechtungen der "Regulationsweisen literarischer Arbeit" – dem Urheberrecht, der VG-Wort, der Künstlersozialkasse und dem Deutschen Literaturfonds – andeutet, dass der erhabene Status von Schriftsteller:innen brüchig geworden ist. Eine Begründung gibt Amlinger in Bezug auf den Urheberrechtsdiskurs und mit einem Verweis auf eine Arbeit von Pierre-Michel Menger:12 "[D]as normative Fundament, der Schriftstellerberuf sei eine Erwerbstätigkeit besonderer Art, [erodiert] mit einem erwerbsstrukturellen Wandel, der künstlerisch-kreative Praktiken in der Arbeitsgesellschaft implementiert" (376). Zweitens stellt sie ausgehend von einem Durkheim'schen Begriff sozialer Institutionen dar, welche Konsequenzen Marktgegebenheiten auf Institutionen des Literaturbetriebs haben. In der zum Literaturbetrieb transformierten literarischen Öffentlichkeit kann ein symbolisch-ästhetisches Kapital erworben werden, das sich zunehmend umstandslos in ökonomisches Kapital umsetzen lässt.
Amlingers Methode, die "Regulationsweisen literarischer Arbeit" und den Literaturbetrieb durch die "subjektiven Deutungen" (393) der interviewten Autor:innen oder anderer Stimmen aus dem literarischen Feld gebrochen darzustellen, führt besonders dann zu erhellenden Einsichten, wenn sie es schafft, Fluchtlinien des literarischen Felds nachzuzeichnen. So wenn sie darstellt, wie die interviewten Autor:innen von "digitale[n] Vertriebsstrukturen und Handelsmonopole[n]" (363) das Urheberrecht unterminiert sehen. Oder wenn sie auf den Entwurf für eine Novellierung des Urheberrechts von 2015 eingeht, wonach Autor:innen die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, einem Verlag gewährte Nutzungsrechte nach fünf Jahren zurückzunehmen. Einige Autor:innen sehen damit die Macht erfolgreicher Autor:innen gestärkt; Verlage sehen ihre Kalkulationssicherheit gefährdet; man sieht ambitionierte und ökonomisch riskante oder wenig vielversprechende Projekte bedroht. Manche Autor:innen und manche Verlage gehen in der Debatte eine strategische Allianz ein. Hierarchien und Bruchstellen innerhalb des literarischen Felds werden sichtbar.
Auf eine ähnliche Dynamik weist Amlinger hin, wenn sie auf eine 2016 um eine Neuregulierung der VG-Wort geführte Debatte im literarischen Feld eingeht: Nach der Klage eines Wissenschaftsautors schränkt eine (2021 zurückgenommene) Novellierung die Rechte von Verlagen ein, a priori an den Ausschüttungen der VG-Wort beteiligt zu werden. Hier wird, wie Amlinger zeigen kann, die "institutionalisierte Arbeitsbeziehung" zwischen Autor:innen und Verlagen in Frage gestellt, werden Kämpfe und Verwerfungen innerhalb des literarischen Felds deutlich. Dass sie in der Besprechung dieses Falls öffentliche Einlassungen (Artikel von Wiebke Porombka und Karen Köhler, veröffentlicht jeweils in der ZEIT) auf dieselbe Weise diskutiert, wie sie ansonsten die anonymen Autor:innengespräche behandelt, irritiert allerdings. Und die handfesten Hinweise Karen Köhlers zur Aufgabenverteilung zwischen Autor:innen und Verlagen bei schwer vermarktbaren Texten – zum Unterschied zwischen großen Wissenschafts- und kleinen Literaturverlagen und zur Sorge, das Urteil könne dazu führen, dass Verlagsaufgaben wie Marketing und Lektorat künftig an die Autor:innen fallen – blendet Amlinger zugunsten der recht vagen Aussage ab, die Autorin würde derjenigen "illusio" anhängen, wonach Verlage "die sakrale Macht" besitzen, aus Texten Werke zu machen (369).
Gerade wenn Amlinger feststellt, dass die unterschiedlichen Debattenbeiträge jeweils eine Wahrheit über das literarische Feld aussprechen, wie sie einer bestimmten Position im und einer bestimmten Perspektive auf das literarische Feld zuzurechnen ist, vermisst man Überlegungen zur Aufteilung dieses Felds; Überlegungen, wie sie etwa Heribert Tommek in seiner ebenfalls feldtheoretischen Studie über den Langen Weg in die Gegenwartsliteratur angestellt hat, auf die Amlinger nur sporadisch verweist.13 Hinweise, die sie im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit dem Literaturmarkt zur Entwicklung des Diskurses um das Urheberrecht gibt, werden hier nicht mehr erwähnt, geschweige denn von den interviewten Autor:innen diskutiert. Die Vermutung, dass sich das deutsche, im Sinne einer "Werkherrschaft"14 an die Person der Autor:innen geknüpfte Urheberrecht in Richtung eines Copyrights nach angelsächsischem Vorbild entwickelt, weil Verlage sich zunehmend als "Content Provider" sehen (vgl. 296), greift Amlinger nicht mehr auf. So bleibt die Auseinandersetzung mit dem Schriftstellerberuf und seinen Regulierungen nur lose an die im ersten Teil der Studie vorgenommenen Analysen des Literaturmarkts angeschlossen. Das verwundert bei einer Arbeit, die doch gerade als ihren Anspruch formuliert, die "Verzahnungen von ästhetischen Praktiken mit ökonomischen Handlungslogiken zu rekonstruieren" (28) – wobei zu fragen ist, ob die Metapher der "Verzahnung" nicht schon auf die fragwürdige Bestimmung festlegt, dass ökonomische Logiken ästhetischen Praktiken notwendigerweise äußerlich sind.
3. (Illusio der) Autonomie
Der Grad der Autonomie des literarischen Felds lässt sich Bourdieu zufolge an der Stärke des "Brechungseffekt[s]" messen, "den seine spezifische Logik externen Einflüssen oder Anforderungen zufügt".15 Das vorausgesetzt zeigen viele von Amlingers Befunden, dass dieses Feld immer heteronomer wird und dass sich, wie schon von Bourdieu festgestellt, die "Welt der Kunst und [die] des Geldes"16 zunehmend durchdringen: Stipendien und Literaturpreise funktionieren "verstärkt nach ökonomischen Steuerungsmechanismen" (436). Innerhalb des literarischen Felds setzen sie den ästhetischen Wettbewerb oft aus, weil Bepreisungen weitere Bepreisungen wahrscheinlich machen. An Lesungen lässt sich eine Eventisierung im Zeichen der Aufmerksamkeitsökonomie eines an Neuerscheinungen ausgerichteten Markts feststellen. In der Literaturkritik dominieren mit Kurzkritiken und Autorenporträts Formen, die immer weniger an einem literarischen Eigensinn interessiert sind. Zudem bedeuten (meist einem "identifikatorischen Lesen" verpflichtete) Online- und insbesondere Käufer:innen-Rezensionen zwar eine "Demokratisierung der Kritik" (mit dem Begriff der Demokratisierung ist Amlinger in der ganzen Studie recht freigiebig). Als Bewertungsinstrumente auf Verkaufsplattformen sind sie aber auch Zeichen einer zunehmenden Kommerzialisierung (476f.).
Neben der Frage nach der tatsächlichen Autonomie des literarischen Felds interessiert Amlinger, welche Bedeutung Autonomie-Versprechen für das Funktionieren dieses Felds haben. So kommt im dritten Teil ihrer Studie, der im Titel eine Auseinandersetzung mit "ästhetischen Positionierungen" ankündigt, die von Amlinger gewählte Methode des qualitativen Interviews zu sich. Ihr Fokus liegt dabei auf der Ideologie, die sich in Autorschaftsverständnissen und in manifesten Autonomieversprechen äußert; auf der illusio, die ein soziales Feld kennzeichnende Praktiken aller erst zu einem funktionierenden Gefüge zusammenschließt und die Akteur:innen dazu bringt, ein Investment innerhalb dieses sozialen Felds zu betreiben und sich auf die Wettkämpfe einzulassen, die es strukturieren. Entsprechend versteht Amlinger Autorschaft als einen "normativen Selbstentwurf"; allerdings als einen normativen Selbstentwurf, der "durch literarische Arbeitspraktiken gestiftet wird und im literarischen Werk zu Materialität gerinnt" (559).
Sie wird diese Definition an späteren Stellen noch variieren (und ihr dadurch etwas an Schärfe nehmen).17 Was allerdings schon mit Blick auf diese Variante irritiert: Wenn das Selbst von Autor:innen in praktischen Vollzügen entworfen wird, und wenn es "Materialität" "im literarischen Werk" gewinnt, würde das nicht fordern, die Selbstaussagen der Autor:innen mit ihren tatsächlichen Arbeitspraktiken und insbesondere mit den literarischen Texten, die sie produzieren, abzugleichen? Mit Bourdieu gesprochen: Müssten nicht die "Positionierungen" der Autor:innen auf ihre literarischen "Positionen" bezogen werden, nicht zuletzt um Dynamiken des literarischen Felds erfassen zu können, die sich aus Spannungen zwischen Positionen und Positionierungen ergeben?18
Autor:innen, so ein Ergebnis von Amlingers Studie, identifizieren sich mit ihrer Tätigkeit. Noch da, wo sie das Schreiben als eine Technik zur Selbstüberschreitung verstehen, würden sie eine Disposition zum Schreiben, einen Willen oder Zwang zum Schreiben zum Ausdruck ihrer selbst "essentialisieren" – ein essentialistisches Verständnis von Autorschaft, das sich auch in den Aufnahmekriterien von Schreibschulen ausdrücke. Autor:innen streben noch da nach 'Selbstverwirklichung' (617), wo sie mit ihrem Schreiben Selbstüberschreitung beabsichtigen. Später ist dann auch von "Selbstentfaltung", "Selbsterfahrung", "Selbstkontrolle" und "Selbststeuerung" als normativen Ideen die Rede, die mit dem Schriftstellerberuf verbunden seien, ohne dass diese Begriffe geklärt, zueinander in Bezug gesetzt oder systematisch in den zitierten Interviews vorkommen würden. Mit einer Wendung, die Amlinger häufig gebraucht, um moderne Transformationen literarischer Arbeit zu beschreiben: In der Selbstdeutung der Autor:innen wird Autorschaft "essentialistisch in das Subjekt verlagert" (562). Ebenso wie von einem Drang zum Schreiben würden die meisten der interviewten Autor:innen auch von einer "Disposition zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung" und einem "Imperativ der Freiheit" als wesentlichen persönlichen Eigenschaften sprechen (621f.). Weil diese Befunde auf die Frage antworten könnten, inwiefern ein gegenwärtiger Begriff literarischer Arbeit in die neoliberalen Begriffe von "Selbstverwirklichung" und "Selbstständigkeit" übergeht,19 hätte man sich bei ihrer Darstellung eine klare Reflexion der analytischen Begriffe und des neoliberalen Arbeitsbegriffs gewünscht. Wie genau verhält sich das Freiheitsversprechen der Kunst zum Freiheitsverständnis einer Ideologie, für die die "ökonomische Tätigkeit […] die paradigmatisch freie Tätigkeit" ist?20 Und wo sperren sich die Aussagen der Autor:innen gegen diese Ideologie?
Amlinger entscheidet sich dafür, vordergründig nicht Widersprüche oder Differenzen, sondern recht konsequent Ähnlichkeiten (oder wie es an einer Stelle heißt: "Muster und Regelmäßigkeiten", 616) zwischen den Aussagen der Autor:innen herauszuarbeiten. Das entspricht der Tendenz der ganzen Studie, das literarische Feld nicht von seinen Rändern und in seiner Streuung verstehen zu wollen, sondern es über kleinste gemeinsame Nenner zu erfassen. Nicht nur geht damit die Aufmerksamkeit auf (auch sprachliche) Besonderheiten der zusammengetragenen Aussagen verloren. Zuweilen entsteht so auch der Eindruck, der im geltenden deutschen Urheberrecht festgehaltene bürgerliche Begriff von Werk und Autorschaft habe allzu sehr als Muster dafür gedient, die Aussagen der Autor:innen zu erfassen; dies, um dann der These zuarbeiten zu können, die Tendenz zur Veralltäglichung des Arbeitsverständnisses der Kreativindustrie befördere gerade die Affirmation eines traditionellen Autorschaftsverständnisses.
Amlinger zufolge essentialisieren Schriftsteller:innen Autorschaft nicht lediglich. Auf radikale Weise machen sie ihre Selbstbeschreibung als Autor:innen auch von der Anerkennung abhängig, die sie im literarischen Feld erfahren: "Die Grenzen des literarischen Feldes sind die Grenzen der eigenen Identität" (571). Wie dieser Zusammenfall von Identität und feldspezifischer Anerkennung mit der Diagnose eines essentialistischen Autorschaftsbegriffs vereinbar ist, ist nicht ganz klar. Zugleich wirft der aphoristische Satz aber eine grundsätzliche Rückfrage auf: Wie Amlinger die Begrenzung des literarischen Felds eigentlich verstanden wissen will, bleibt die ganze Studie über unbestimmt. Dabei ist die Studie durchaus sensibel für entfremdete, heteronome literarische Schreibarbeit. Eine der interviewten Autor:innen berichtet über einen Arbeitsalltag:
Ich hab jetzt sehr lange keine Telenovela mehr geschrieben, aber als ich das gemacht hab, war ich echt von diesem "Ich leg einen vergammelten Apfel in die Schublade, mach 'ne Kerze an und trink ein Glas Rotwein"-Ding so hundert Mal weg, weil du einfach in so einen Container gegangen bist, mit fünf, sechs anderen, und dann hast du irgendwie zehn Stunden am Tag und vier Tage lang geplottet. Und dann wurde dir am vierten Tag alles wieder zerschossen von den alten Herren. Und am fünften Tag musstest du dann sehen, dass du den Plot nochmal ordentlich hingeschrieben hast (580).
Erhellend, sich vorzustellen, was passiert wäre, hätte Amlinger eine Aussage dieser Art auch zu einem Ausgangspunkt ihrer Analyse gemacht. Stattdessen eine programmatische Tendenz zur Entdramatisierung (d.h. zur Verallgemeinerung und zum Verzicht, Standpunkte und Sprecher:innenpositionen anzugeben): "Gegenstand ist durchaus die illusio der Kunst, der Glaube an die Kunst als antiökonomisches Universum. Im Folgenden soll aber ebenso sichtbar gemacht werden, was die Kunst leugnet, worauf sie aber gleichzeitig beruht: die wirtschaftlichen Prozeduren des Marktes" (28).
Der zitierte Bericht aus einem ökonomisch streng geregelten Schreibraum zeugt vom Bewusstsein der Realität eines Ineinander von Schreibarbeit und ökonomischer Logik, die sich nicht mit der von Amlinger gebrauchten Metapher der "Verzahnung" fassen lässt. Die Aussage der Autorin bezeugt außerdem einen reflektierten, um nicht zu sagen zynischen Blick auf Autorschaftsklischees und den "normative[n] Überschuss" professioneller Autorschaft, der in der Analyse nicht konsequent berücksichtigt zu sein scheint. War Bourdieu noch davon ausgegangen, dass Akteur:innen des literarischen Felds der illusionäre Charakter des Spiels, das sie auf diesem Feld spielen, nur in Krisenzeiten bewusst wird,21 machen Amlingers (durch reflexive Institutionen wie Schreibschulen geprägte) Gesprächspartner:innen oft den Eindruck, schon selbst einen quasi soziologischen Blickpunkt einnehmen zu können, von dem aus das soziale Spiel sich als Spiel entpuppt und die Fetische des literarischen Produktionsfelds als Fetische erscheinen.
Das gilt auch für die Auseinandersetzung mit dem Status von Autonomie als einem Versprechen, das Autor:innen mit ihrer Arbeit verbinden können. Auch hier wieder das Zitat eines interviewten Autors:
Und [eins der] Klischees, die einen so durchs Leben tragen, ist ja, dass man selber der Entwerfer des eigenen Lebens ist und […] sich alles selbst ausgedacht hat – das ist halt nicht so. Das hängt alles an tausend Fäden. Vielleicht ist Freiheit, ach, das wird jetzt wieder aphoristisch, vielleicht ist Selbstbestimmtheit, dass man so weit ist, nicht mehr zu sehen, wie fremdbestimmt man ist. Na ja. [Lacht] Ungefähr so (624).
Amlinger kommentiert: "Er leugnet also nicht, dass der Glaube an das autonome schöpferische Subjekt in seiner Alltagspraxis handlungsleitend sei, aber in der Reflexion über die sozialen Praktiken, welche die Grundlage dieser illusio bilden, wird er sich bewusst, dass diese an 'tausend Fäden' hängt." (ebd.) Wäre nicht, wie es auch der Titel des Unterkapitels ankündigt – "Autonomie ist ein bewusstes Verkennen ihrer Möglichkeitsbedingungen" – zu bedenken, inwiefern das paradoxe Zugleich von Verkennen und Bewusstsein der Heteronomie für eine gegenwärtige illusio wesentlich ist, die dann eben nicht mehr der reine und nur nachträglich reflektierte "Glaube an das autonome schöpferische Subjekt" wäre? Wäre also nicht das ausgestellte Bewusstsein zu reflektieren, dass es sich bei diesem Glauben um ein Klischee handelt, und zu fragen, warum es trotz oder in dieser Enttarnung oder Entstellung dennoch nicht aufhört, praktisch zu funktionieren?
Vielleicht gilt auch für einige Akteur:innen des literarischen Felds, was Slavoj Žižek für ein Merkmal gegenwärtiger Ideologie hält: "They are fetishists in practice, not in theory."22 Ein solcher Verdacht würde dafür sprechen, sich größere methodische Umstände in der Analyse des Verhältnisses von Selbstreflexion und Praxis zu machen, als es Amlinger tut. Dann wäre auch ("ach, das wird jetzt wieder aphoristisch") die spezifische Sprechsituation der Interviews und die darin manifeste Rhetorik genauer zu analysieren. Und dann wäre – bezogen auf die oben zitierte Aussage – sehr viel stärker der Status des Autors zu bedenken (Amlinger stellt ihn als einen arrivierten, erfolgreichen Schriftsteller vor). Sie generalisiert stattdessen:
Auf der Ebene der symbolischen Produktion ist [die Idee der Autonomie] essenzieller Bestandteil der beruflichen Selbstdeutung und arbeitsbezogenen Ansprüche. Anders formuliert: Der autonome Status von Autor:innen und mithin der von Literatur wird durch ermöglichende soziale Kontexte und das gleichzeitige Verbergen dieser Kontexte hervorgebracht. (624)
Es sind Verallgemeinerungen wie diese, die – bei aller Gründlichkeit, theoretischen Präzision und historischen Genauigkeit – stellenweise etwas unklar machen, wie man die Thesen der Studie nun lesen soll. Nimmt man Amlingers Vorschlag auf, "[e]ntgegen der Vorstellung vom Spezialisten für das geschriebene Wort […] Autorschaft […] mehr als ein praktisches Vermögen [zu] verstehen, die Einheit der Gegensätze von Literatur und Markt aktiv zu gestalten" (672), lässt sich Schreiben jedenfalls mit großem Gewinn als Unterscheidung zwischen zwei Formen der illusio von Autonomie lesen: einer Autonomievorstellung, die begründet aus einem vermeintlich ureigenen subjektiven Vermögen Effekt einer Entdifferenzierung von Literatur und Markt ist und ein ausbeutbares Phantasma 'kreativer Arbeit' nährt; und einer Vorstellung von Autonomie, die eher regulative Idee einer (auch kollektiven) Autor:innenschaft ist, die sich in der literarischen Gestaltung des Verhältnisses eines literarischen Texts zur Ökonomie der Gesellschaft beweist, deren Produkt er ist.
Notes
- Im "Bernhard Haus" in Ohlsdorf werden Postkarten mit diesem Zitat verkauft. [^]
- Tobias Fuchs, Die Kunst des Büchermachens. Autorschaft und Materialität der Literatur zwischen 1765 und 1815 (Bielefeld: transcript, 2021), 85. [^]
- Roland Barthes, "Schreiben, ein intransitives Verb?", in Das Rauschen der Sprache (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2005), 25. [^]
- Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung (Berlin: Suhrkamp, 2021). [^]
- Carolin Amlinger, Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit (Berlin: Suhrkamp, 2022), 19. Im Folgenden zitiere ich hieraus unter Angabe der Seitenzahl im Text. [^]
- Christoph Menke, Theorie der Befreiung (Berlin: Suhrkamp, 2022), 243ff. [^]
- Clayton Childress, Under the Cover. The Creation, Production and Reception of a Novel (Princeton: Princeton University Press, 2017). Ebenso wie Amlinger arbeitet Childress mit qualitativ ausgewerteten Interviews, zitiert aber nicht nur Autor:innen, sondern versucht möglichst viele, die Produktion und Rezeption eines Buches bestimmende Akteur:innen zu Wort kommen zu lassen. [^]
- Ihre literatursoziologische Position stellt Amlinger vor in "Wozu Literatursoziologie?", Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 868 (2021): 85–93. [^]
- Vgl. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, hg. v. Gretel Adorno und Rolf Tiedemann (Berlin: Suhrkamp, 2019), 334ff. [^]
- Vgl. Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1999), 271. [^]
- Vgl. Bernard Lahire, Doppelleben. Schriftsteller zwischen Beruf und Berufung (Berlin: Avinus, 2011); eine Studie, auf die Amlinger sich häufig bezieht. [^]
- Vgl. Pierre-Michel Menger, Kunst und Brot. Die Metamorphosen des Arbeitnehmers (Konstanz: UVK, 2006). [^]
- Heribert Tommek, Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur. Studien zur Geschichte des literarischen Feldes in Deutschland von 1960 bis 2000 (Berlin: de Gruyter, 2015). [^]
- Heinrich Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit (Paderborn u. a.: Wilhelm Fink, 2014). [^]
- Bourdieu, Die Regeln der Kunst, 349. [^]
- Bourdieu, Die Regeln der Kunst, 530. [^]
- Eine spätere Definition lautet dann: "Autorschaft, dies kann man vorab festhalten, ist eine praktische Subjektkonstruktion, die in einer hybriden Rekonfiguration unterschiedlicher kultureller Muster herausgebildet wird" (561); und wieder einige Seiten später: "Autorschaft manifestiert sich zusammengefasst also in den regelgeleiteten sozialen Praktiken der Lebensführung; sie ist das einheitsstiftende Ganze, unter dem Autor:innen ihr Handeln beurteilen und gegebenenfalls modifizieren" (569). [^]
- Vgl. Bourdieu, Die Regeln der Kunst, 365ff. [^]
- Zum neoliberalen Verständnis dieser Begriffe siehe Menke, Theorie der Befreiung, 289ff. [^]
- Menke, Theorie der Befreiung, 272. [^]
- Bourdieu, Die Regeln der Kunst, 361f. [^]
- Slavoj Žižek, "How did Marx invent the Symptom", in The Sublime Object of Ideology (London: Verso, 2008), 28. [^]
Bibliografie
Adorno, Theodor W. Ästhetische Theorie, hg. v. Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. Berlin: Suhrkamp, 2019.
Amlinger, Carolin. Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit. Berlin: Suhrkamp, 2022.
Amlinger, Carolin. "Wozu Literatursoziologie?". Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 868 (2021): 85–93.
Barthes, Roland. "Schreiben, ein intransitives Verb?". In Das Rauschen der Sprache, 18–27. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2005.
Bosse, Heinrich. Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit. Paderborn u. a.: Wilhelm Fink, 2014. DOI: http://doi.org/10.30965/9783846757871
Bourdieu, Pierre. Die Regeln der Kunst. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1999.
Childress, Clayton. Under the Cover. The Creation, Production and Reception of a Novel. Princeton: Princeton University Press, 2017. DOI: http://doi.org/10.23943/princeton/9780691160382.003.0001
Fuchs, Tobias. Die Kunst des Büchermachens. Autorschaft und Materialität der Literatur zwischen 1765 und 1815. Bielefeld: transcript, 2020. DOI: http://doi.org/10.1515/9783839455302
Lahire, Bernard. Doppelleben. Schriftsteller zwischen Beruf und Berufung. Berlin: Avinus, 2011.
Menger, Pierre-Michel. Kunst und Brot. Die Metamorphosen des Arbeitnehmers. Konstanz: UVK, 2006.
Menke, Christoph. Theorie der Befreiung. Berlin: Suhrkamp, 2022.
Reckwitz, Andreas. Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Berlin: Suhrkamp, 2021.
Tommek, Heribert. Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur. Studien zur Geschichte des literarischen Feldes in Deutschland von 1960 bis 2000. Berlin: de Gruyter, 2015. DOI: http://doi.org/10.1515/9783110359084
Žižek, Slavoj. "How did Marx invent the Symptom". In The Sublime Object of Ideology, 1–55. London: Verso, 2008.