1. Einleitung: Verteilungen der Vulnerabilität
Die Tötung des Afroamerikaners Jacob Blake durch die Polizei in Kenosha, Wisconsin führte Ende August 2020 zu Protesten und Unruhen. Die Ereignisse standen im größeren Zusammenhang der Black Lives Matter-Bewegung, die sich infolge des Mords an George Floyd gegen systematische rassistische Polizeigewalt in den USA richtet. In Kenosha kam es in den Nächten der Demonstrationen immer wieder zu Brandstiftungen und Plünderungen. Als Reaktion wurde nicht nur die Nationalgarde nach Kenosha entsandt, sondern es bildeten sich auch bewaffnete weiße Kampfmilizen, mit dem erklärten Ziel, Geschäfte und Läden vor Angriffen seitens der Demonstrant:innen zu schützen. Am späten Abend des 25. August erschoss einer der selbsternannten Vigi-lantes, der erst 17-jährige Kyle Rittenhouse, zwei Menschen und verletzte einen dritten schwer. Ihm wird dieser Tage, Anfang November 2021, der Prozess gemacht, er ist unter anderem wegen mehrfachen Mordes angeklagt. An den ersten Verhandlungstagen betonte der vorsitzende Richter Bruce Schroeder immer wieder, dass es sich nicht um einen politischen Prozess handle und dass politische Fragen – wie etwa die Frage nach der Berechtigung und dem Wert des Second Amendment1 – in der Verhandlung keine Rolle spielen. Die einzige Frage, die im Prozess zu beantworten ist, so Schroeder, betrifft den rein juridisch zu klärenden Sachverhalt, ob Rittenhouses Taten legitimerweise als Selbstverteidigung gelten können. Darüber hinaus traf Schroeder bereits zu Beginn des Prozesses eine bemerkenswerte Entscheidung. Er verfügte, dass die Erschossenen im Rahmen des Prozesses nicht "Opfer" (victims) genannt werden dürfen, da dieser Begriff die Geschworenen zugunsten der Anklage vereinnahmen könne. Gleichzeitig erklärte er die Verteidigung für berechtigt, sie "Plünderer" und "Brandstifter" (looters, arsonists) zu nennen, zumindest sofern sie in der Lage sei, entsprechende Belege vorzubringen, die diese Bezeichnung stützen.2
In diesem Prozess verdichten sich mithin einige Probleme, die das politische Feld unserer Tage bestimmen: von strukturellen Formen des Rassismus und der fortbestehenden Ideologie der White Surpremacy über die Bedingungen und Voraussetzungen gewaltlosen oder gewaltsamen Protests und Widerstands bis hin zu Fragen des politischen und medialen Framings, d.h. der Setzung von begrifflichen und symbolischen Deutungsrahmen, die bestimmte Akte als legitime Formen der Machtausübung oder aber als illegitime Gewalttaten erscheinen lassen. Rezent liegen uns mit Judith Butlers Die Macht der Gewaltlosigkeit. Über das Ethische im Politischen3 und Elsa Dorlins Selbstverteidigung. Eine Philosophie der Gewalt4 zwei Publikationen in deutscher Übersetzung vor, die diese Themen im Rahmen der Politischen Philosophie verhandeln.
Dabei haben einige Kommentator:innen bereits die scheinbar diametral entgegengesetzten Ausrichtungen der beiden Texte herausgestrichen.5 Während Butler auf ein neues Verständnis gewaltlosen Widerstands abzielt, entfaltet Dorlin eine Genealogie von Praktiken der Gegengewalt und der Selbstermächtigung zur Gewalt vonseiten marginalisierter und entrechteter Gruppierungen. Allerdings wäre es verkürzt, wie ich in der Folge zeigen möchte, in der Konfrontation von Butler und Dorlin bloß eine Neuauflage der alten Debatten um die zugleich moralische und strategische Frage nach der Berechtigung und dem Sinn gewaltsamer politischer Aktion zu sehen. Trotz der divergierenden Zielsetzungen lassen sich die Ausführungen von Butler und Dorlin als über weite Strecken komplementäre Beiträge zu einer Theorie politischer Vulnerabilität lesen. Anstatt Fragen der gerechten Allokation und Verteilung materieller Ressourcen ins Zentrum zu stellen, muss die Politische Philosophie, so die gemeinsame implizite Ausgangsthese Dorlins und Butlers, einen Ebenenwechsel vollziehen: hin zu der vorgelagerten Frage nach der Verteilung der Gefährdungslagen und Vulnerabilitäten. Im Fokus beider Arbeiten steht entsprechend die Frage, wer überhaupt als Subjekt der Gerechtigkeit, mithin als Subjekt des Politischen Anerkennung findet, das mit bestimmten Rechten ausgestattet ist und das als schützenswert, verteidigbar (Dorlin) und betrauerbar (Butler) gelten kann.
2. Verteidigbares Leben (Dorlin)
Wenn der Richter im Rittenhouse-Prozess eine klare Grenze zwischen den politischen Fragen im weiteren Kontext des Prozesses und der unpolitischen, juridischen Frage nach der Selbstverteidigung ziehen möchte, dann ist das aus der Sicht Dorlins von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn ihre zentrale These lautet, dass gerade das Problem der Selbstverteidigung immer schon, wenn auch subkutan, im Zentrum des Politischen steht. Nach Dorlin ist die Geschichte des Politischen nicht nur, aber immer auch eine Geschichte des Streits um das Recht und die Macht der Selbstverteidigung. Sie geht dabei von einem historisch veränderlichen "Verteidigungsdispositiv" aus, in dessen Rahmen reguliert wird, welches Leben als verteidigbar gilt und welches Leben schutzlos der Gewalt ausgesetzt ist. Das "Verteidigungsdispositiv zieht eine Demarkationslinie zwischen Subjekten, die würdig sind, sich selbst zu verteidigen und verteidigt zu werden, auf der einen Seite und Körpern, die zu defensiven Taktiken gezwungen sind, auf der anderen Seite".6 Verteidigtwerden und Sich-selbst-Verteidigen war und ist demnach nie einfach ein Recht, sondern immer ein Privileg – ein Privileg, das u.a. entlang vergeschlechtlichter, ethnischer und ökonomischer Differenzen und ihrer intersektionellen Überkreuzungen ungleich verteilt ist.
Dorlin macht damit deutlich, dass eine der Kernfragen der Politischen Philosophie, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von Politik, Recht und Gewalt, unterkomplex reflektiert wird, solange man sie nur im Kontext der Souveränität und des staatlichen Gewaltmonopols verhandelt. Der einseitige Fokus aufs staatliche Gewaltmonopol – als der Idee, dass allein der Staat über das Recht auf legitime Gewaltanwendung verfügt – verstellt den Blick auf den Umstand, dass die Rechte, Möglichkeiten und Ressourcen der (Selbst-)Verteidigung sozial ungleich distribuiert sind. Dorlin schlägt daher vor, die hergebrachte Rede vom staatlichen Gewaltmonopol durch die Analyse einer "Herrschaftsökonomie der Gewalt"7 zu ersetzen:
Eher als von einem Monopol könnte man von einer Herrschaftsökonomie der Gewalt sprechen, die paradoxerweise die Personen verteidigt, denen schon immer das Recht zugestanden wurde, sich selbst zu verteidigen. Diese Ökonomie behauptet die Legitimität bestimmter Subjekte, physische Gewalt zu gebrauchen, überträgt ihnen den Machterhalt und die Gerichtsbarkeit (die Selbstjustiz) und räumt ihnen die Erlaubnis zum Töten ein.8
Mit der Fokusverschiebung hin zur Herrschaftsökonomie der Gewalt distanziert sich Dorlin vom juridisch-moralischen Paradigma der Legitimität. Dieses Paradigma – in dem Gewaltakte daraufhin befragt werden, ob sie in Übereinstimmung mit den geltenden Normen, Regeln und Gesetzen stehen – trägt aus Dorlins Sicht dazu bei, das vorgängige Verteidigungsdispositiv und die damit verbundene Produktion und Distribution (un-)verteidigbaren Lebens zu verdrängen. Für ihren eigenen Zugang veranschlagt Dorlin daher die Devise, "[m]ehr vom Muskel als vom Gesetz auszugehen",9 d.h. Selbstverteidigung nicht mehr als Legitimitätsproblem, sondern als leiblich-körperliche Praxis und Ethos zu analysieren. Es geht ihr um die Prozesse und Praktiken, in denen Existenzen, denen die Rechte und Ressourcen der Verteidigung genommen oder abgesprochen werden, ihre gesteigerte Gefährdung und Vulnerabilität durch den Einsatz und die Einübung von Verteidigungstechniken und Gewaltpraktiken zu kompensieren suchen. Dorlin stellt also die Momente des "Übergangs zur defensiven Gewalt"10 vonseiten derer ins Zentrum, deren Leben nicht als verteidigbar anerkannt ist. Auf dem Spiel steht dabei "nichts anderes als das Leben: nicht sofort getötet zu werden. Die physische Gewalt wird hier als Lebensnotwendigkeit und als Widerstandspraxis gedacht".11
Diese gewaltsamen Widerstandspraktiken fasst Dorlin nicht als Tätigkeiten eines anerkannten und abschließend konstituierten Subjekts ins Auge, sondern vielmehr müssen sie als Techniken der Subjektivierung verstanden werden. Das Subjekt geht seinen Selbstverteidigungspraktiken demnach nicht einfach voraus, sondern es konstituiert sich allererst in den Praktiken der Gegengewalt als widerständiges Subjekt. Bemerkenswert ist dabei, dass Dorlin den Begriff der Selbstverteidigung terminologisch für jene "subalternen Praktiken" reservieren möchte, in denen unverteidigbares Leben sich zu verteidigen versucht. Diese subalternen Praktiken, so Dorlin, "bilden das, was ich als Selbstverteidigung im eigentlichen Sinne bezeichne, im Gegensatz zum juristischen Begriff der Notwehr".12 Anders gesagt, Notwehr bezeichnet die im Rahmen des Verteidigungsdispositivs legitimierte Gewalt von Subjekten, deren Leben bereits als verteidigungswürdig anerkannt ist; die subalterne Selbstverteidigung bringt dagegen ein widerständiges Subjekt allererst hervor, und zwar den Normen und Vorgaben des Verteidigungsdispositivs zum Trotz. In Anlehnung an Foucault spricht Dorlin im Hinblick auf diese Subjektivierungstechniken der Gegengewalt von "Kampfethiken des Selbst".13 Gemeint sind damit asketische Praktiken, in denen sich durch Übung und Einübung (von Kampf- und Verteidigungstechniken) ein Selbst der Selbstverteidigung konstituiert, das als solches (im Rahmen des 'offiziellen' Verteidigungsdispositivs) nicht vorgesehen war.
Ausgehend von diesen theoretischen Überlegungen schreibt Dorlin die Genealogie dieser Kampfethiken des Selbst. Dem Gegenstand entsprechend – immerhin handelt es sich um Gegengeschichte, um Geschichte der Subalternen – liefert sie keine lineare Erzählung, sondern stellt ein brüchiges Sammelsurium an Geschichten des Übergangs zur defensiven Gewalt zusammen. So zeichnet sie u.a. nach, wie die US-amerikanischen Sklav:innen, denen das Tragen von Waffen untersagt war, eigene (Sub-)Kulturen der Selbstverteidigung entwickelten,14 wie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Suffragettenverbände die Kunst des Jiu-Jitsu aneigneten,15 wie widerständige Jüd:innen das Krav Maga entwickelten16 oder wie die Black-Panther-Bewegung unter dem Motto 'Arm Yourself or Harm Yourself' gewaltsame Selbstverteidigung in den Dienst der politischen Revolution stellte.17
In Dorlins Ausführungen nehmen diese und weitere ähnlich gelagerte genealogische Erzählungen den meisten Raum ein. Dorlins Buch lässt sich daher als eine – vielgestaltige, facettenreiche, mitunter verstörende, aufwühlende – Zusammenschau von Gewaltgeschichten bzw. Gegengewaltgeschichten lesen. Dabei fügen sich die subalternen Techniken der Selbstverteidigung, wie Dorlin am Ende ihrer Studie ausführt, in den Rahmen einer Konzeption von Dirty Care ein: schmutzige Sorge. Mit der Idee von Dirty Care möchte Dorlin ihren eigenen Ansatz provokant gegenüber care-ethischen Überlegungen abheben. Während die Care-Ethik den Unterdrückten (in erster Linie Frauen) eine besondere Form der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse anderer zuschreibe, verweist Dirty Care auf den Umstand, dass die Unterdrückten gerade deswegen acht- und aufmerksam sind, weil die anderen für sie immer schon eine existenzielle Bedrohung darstellen. Die Dirty Care stellt in diesem Sinn eine "Ethik der Ohnmacht" in Aussicht, "die auf all den Anstrengungen beruht, die man trotz allem unternommen hat, um sich zu verteidigen", und dazu gehört eben auch, dass man sich bemüht, "den anderen möglichst gut zu kennen, um zu versuchen, sich gegen das zu verteidigen, was er uns antun kann".18 Die Dirty Care wäre folglich, um mit Foucault zu sprechen, eine Form der Sorge um sich und die anderen, die sich aus der eigenen Unterdrückungserfahrung und dem damit verbundenen Begehren der Selbstverteidigung speist.
Abgesehen von dieser eher dunklen und im Buch nur beiläufig eingeführten Idee von Dirty Care gibt Dorlin kaum Aufschluss darüber, was aus ihrer Sicht aus den genealogischen Erzählungen in theoretischer Hinsicht folgt. Sowohl begrifflich als auch normativ bewegt sich Dorlin auf recht dünnem Eis. Deswegen lässt eine:n die Studie trotz ihres beeindruckenden Materialreichtums im Hinblick auf ihre konzeptuellen, ethischen und politischen Implikationen letztlich recht ratlos zurück. So enthält der Text, der doch immerhin den Untertitel Eine Philosophie der Gewalt trägt, keinerlei Reflexion auf den Gewaltbegriff. Man kann nur aus der Materialauswahl schließen, dass Gewalt zumeist als physische Gewaltanwendung verstanden wird, auch wenn auf der Ebene der Beispiele immer wieder Formen psychischer und sexualisierter Gewalt hervorbrechen. Noch irritierender ist, dass Dorlin keine ausgereiften Überlegungen zu den ethisch-politischen Konsequenzen ihrer Genealogie der Kampfethiken des Selbst vorlegt. Durchwegs bleibt unklar, ob etwas und, falls ja, was aus dem Aufweis der subalternen Gegengewaltgeschichte normativ folgt. Wie es scheint, handelt sich Dorlin mit der scharfen Distanzierung vom juridischen Legitimitätsparadigma einen gewissen Kryptonormativismus ein. Denn Dorlins ethisch-politische Zielsetzungen lassen sich wiederum bloß anhand der Materialauswahl erraten, die fast ausschließlich antirassistische, antisexistische und antikoloniale Praktiken der Gegengewalt versammelt. Auf der Hand liegt dabei freilich die Frage, wie sich die bei Dorlin beschriebenen Selbstverteidigungspraktiken von anderen Formen subkultureller Gegengewalt differenzieren lassen. Man denke an Wehrsportübungen von Neonaziverbänden, an schlagende Burschenschaften, rechte Hooligangruppen oder die eingangs erwähnten white vigilantes. Offensichtlich kommt man nicht ohne bestimmte normative Kriterien aus, um diese Formen von Gewalt oder Gegengewalt – die sich auf den ersten Blick ebenfalls als Praktiken der Subjektkonstitution durch Einübung von Gewalttechniken analysieren lassen – von den bei Dorlin beschriebenen abzugrenzen.
Deutlich wird dieses Aussparen von explizit normativ-politischen Orientierungen auch an der appellativen Lektüre von Helen Zahavis Roman Schmutziges Wochenende (1991), die Dorlin ans Ende ihrer Ausführungen stellt. Zahavis Buch handelt von Bella, einer Frau, die von einem Nachbarn auf grausame Weise mit Vergewaltigung bedroht wird. Anstatt sich zu fügen oder sich passiv-defensiv zu verhalten, entscheidet sich Bella für die Gegengewalt. Im Verlauf des titelgebenden 'schmutzigen Wochenendes' ermordet sie ihren Verfolger und einige weitere Männer brutal. Dorlin liest Bellas Verwandlung vom Opfer bzw., wie sie formuliert, von der "Beute" zur Mörderin nicht in Begriffen des Ressentiments, sondern als die Geschichte der "'Bewusstwerdung' eines Machtverhältnisses".19 Zahavis Text verdeutlicht für Dorlin, dass man sich ganz allein bzw. in der bloßen Zweierbeziehung zum Gewalttäter politisieren kann, dass es dazu keines politischen Kollektivs und Rückhalts bedarf, sondern, zumindest in gewissen Fällen, nur einer außerordentlichen Erfahrung von Gewalt und Herabsetzung:
Helen Zahavi thematisiert einen Topos der feministischen Theorie in einem neuen Licht: die Politisierung erlebter Herrschaftserfahrungen und die Konstruktion eines revolutionären politischen Subjekts. Im Fall von Bella erfolgt die politische Subjektivierung durch einen singulären, intimen, phänomenalen Prozess.20
Wenn Dorlin damit den Umschlag vom Opfer zur Mörderin als einen Prozess politischer Subjektivierung beschreibt – gleich als wäre der Mord an sich schon eine politische Antwort auf die Gewalt –, dann stellt sich die Frage, ob sie damit nicht gerade in jenes Imaginäre der Politik-als-Krieg zurückfällt, das doch mit dem Aufweis des Verteidigungsdispositivs eigentlich einen ihrer zentralen Angriffspunkte bildet. Damit scheint zugleich die Möglichkeit, Revolution auch anders als gewaltvoll und mörderisch zu denken,21 in Dorlins Bezugsrahmen nicht vorzukommen.
3. Betrauerbares Leben (Butler)
Auch wenn Butlers Überlegungen in Die Macht der Gewaltlosigkeit sich bisweilen als mit recht heißer Nadel gestrickt lesen – ein Eindruck, der durch die leider wieder einmal ziemlich ungelenke deutsche Übersetzung noch verstärkt wird –, lassen sie sich systematisch als produktive Antworten auf gerade diese offenen Punkte bei Dorlin verstehen: Butler liefert sowohl eine ausführliche Problematisierung des Gewaltbegriffs als auch eine ausgedehnte Reflexion auf die normativen Orientierungen einer Philosophie der Gewalt(losigkeit). Was die Problematisierung des Gewaltbegriffs betrifft, macht Butler geltend, dass die Frage nach Gewalt und Gewaltlosigkeit stets eine Bestimmung dessen voraussetzt, was eigentlich unter Gewalt verstanden werden soll und was in der Folge als gewaltlos, als gewaltloser Protest bzw. gewaltloser Widerstand gelten kann. Dabei hat, wie Butler aufzeigt, jede Reflexion auf Gewalt(losigkeit) mit dem Problem zu kämpfen, dass der Weg zu einer neutralen, eindeutigen und konsensfähigen Gewaltdefinition aus prinzipiellen Gründen verstellt ist. So ist etwa in Rechnung zu stellen, dass "der Unterschied zwischen Gewalt und Nichtgewalt so oft zur Verschleierung und Erweiterung gewaltsamer Ziele und Praktiken genutzt wird".22 Abschließend festzulegen, was Gewalt ist und was nicht, führt entsprechend dazu, dass bestimmte Erfahrungen im Rahmen der gewählten Definition nicht mehr als Gewalt thematisiert und zur Sprache gebracht werden können. In dieser Hinsicht erweisen sich sowohl enge als auch weite Gewaltbegriffe als problematisch: Ein enger Gewaltbegriff läuft Gefahr, eine ganze Reihe an 'eigentlich' gewaltvollen Erfahrungen unsagbar zu machen; ein weiter Gewaltbegriff birgt dagegen das Risiko, dass 'eigentlich' gewaltlose politische Aktionen und dissidente Verhaltensweisen als Gewalt delegitimiert, geächtet oder kriminalisiert werden. Ein besonders kurioses Beispiel dafür bietet die aktuelle Anti-Graffiti-Kampagne der jungen Wiener Volkspartei, die allen Ernstes das Sprayen von Graffiti als "Gewalt gegen Eigentum und gegen Menschen"23 bezeichnet. Und gerade angesichts derartiger reaktionärer Rahmensetzungen, die dissidente Praktiken pauschal als Gewalt ächten, ist es notwendig, so Butlers Leitgedanke, einen prononcierten Begriff gewaltlosen politischen Widerstands zurückzugewinnen.
Die Selbstverteidigung gilt vor diesem Hintergrund als die Paradeform einer legitimen Gewalt, wobei ihre Legitimität eben von der Fähigkeit abhängt, glaubhaft zu machen, dass sie sich nur gegen eine vorgängige Gewalt und Bedrohung zur Wehr setzt. Unter Verweis auf Dorlin macht Butler darauf aufmerksam, dass "nicht jedem Selbst das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden wird. Wessen Berufung auf Selbstverteidigung findet etwa vor Gericht mehr Glauben und wessen Inanspruchnahme von Selbstverteidigung wird mit größerer Wahrscheinlichkeit verworfen?"24 Auch im laufenden Rittenhouse-Prozess zeigt sich, dass nicht zuletzt die differenzielle Verteilung des Rechts auf Selbstverteidigung auf dem Spiel steht, und dass die epistemischen und ethischen Rahmungen dabei von entscheidender Bedeutung sind: Hat sich Rittenhouse gegen bedrohliche looters und arsonists zur Wehr gesetzt oder sind diese vielmehr die victims einer rassifizierten gun violence? Daran wird deutlich, wie Butler ebenfalls aufzeigt, dass "die Berufung auf Selbstverteidigung vonseiten derjenigen, die Macht ausüben, allzu oft nichts anderes [ist] als die Verteidigung dieser Macht, ihrer Vorrechte und der von ihr vorausgesetzten und geschaffenen Ungleichheiten".25 Dieses Problem lässt sich offenbar nicht einfach dadurch aus der Welt schaffen, dass man Selbstverteidigung definitorisch auf die Praktiken der ungerechtfertigt Unterdrückten einschränkt, wie Dorlin teilweise nahezulegen scheint.
Dass Gewalt und Gewaltlosigkeit immer auch Resultat solcher politisch-medialer Framingprozesse sind, sollte aber, wie Butler argumentiert, nicht zu der relativistischen Auffassung führen, "Gewalt und Gewaltlosigkeit sei eben das, was die Machthabenden dafür ausgeben".26 Im Gegenteil verfolgt sie das Ziel, "die Schwierigkeit anzunehmen und zu einer tragfähigen Definition von Gewalt"27 und Gewaltlosigkeit zu gelangen. Sie entwickelt dazu eine Ethik der Gewaltlosigkeit, die an ihre früheren Überlegungen zu Fragen der Anerkennbarkeit, der Interdependenz, der Vulnerabilität und der Betrauerbarkeit anschließt. Seit Kritik der ethischen Gewalt,28 Gefährdetes Leben29 und Raster des Krieges30 arbeitet Butler an einer neuen Ontologie des Körpers und des Lebens, die die Vulnerabilität und Interdependenz von Leben ins Zentrum stellt. Damit ist eine weitreichende Kritik der klassischen Vorstellung eines 'starken', autonomen, selbstpräsenten und souveränen Subjekts verbunden. Die moderne Idee des sujet capable ist, so Butler, eine geradezu gewaltsame Karikatur unseres eigentlichen Seins als verletzbare, voneinander abhängige und auf Gemeinschaft sowie Anerkennung durch Andere angewiesene Wesen. Praktiken der Gewaltlosigkeit zeichnen sich in diesem Rahmen dadurch aus, dass sie die wesentliche Bezüglichkeit und Interdependenz des Lebens anerkennen:
[Wenn] derjenige, der Gewaltlosigkeit praktiziert, in Beziehung zu demjenigen [steht], gegen den Gewaltanwendung erwogen wird, dann scheint zwischen beiden ein vorgängiger sozialer Bezug zu bestehen; sie sind Teil voneinander, das eine Selbst ist im anderen impliziert. Gewaltlosigkeit wäre dann eine Weise, diesen Bezug anzuerkennen, so belastet er auch sein mag, und auch die normativen Zielsetzungen zu bejahen, die sich aus diesem schon bestehenden sozialen Bezug ergeben.31
Gewaltlose Praxis zeichnet sich demnach durch eine Achtung jener grundlegenden und vorgängigen Interdependenz des Lebens aus. Die Ethik der Gewaltlosigkeit, die Butler vorschwebt, setzt in diesem Sinn eine "Kritik des Individualismus”32 voraus, die zugleich eine Kritik des Anthopozentrismus ist. Denn insofern Menschen nicht nur voneinander, sondern auch von infrastrukturellen und natürlichen Lebensbedingungen abhängig sind, "betrifft die Frage der Gewaltlosigkeit nicht nur menschliche Beziehungen, sondern sämtliche lebendigen und wechselseitig konstitutiven Beziehungen".33
Was Butler dabei im Auge hat, ist alles andere als eine rigide pazifistische Gesinnungsethik. Vielmehr macht sie darauf aufmerksam, dass wenn die "Selbstverteidigung oft als zu rechtfertigende Ausnahme von den Normen einer Praxis der Gewaltlosigkeit betrachtet wird", immerhin die Frage gestellt werden muss, "(a) […] wer als ein solches Selbst zählt, und (b) wie umfassend dieses Selbst der Selbstverteidigung eigentlich ist".34 Darüber hinaus sind klassische Formen gewaltlosen Widerstands und zivilen Ungehorsams keineswegs frei von Aggressivität. Butler unterstreicht mehrfach, dass eine "[a]ggressive Gewaltlosigkeit […] kein Selbstwiderspruch" ist, und macht geltend, dass "Formen gewaltlosen Widerstands auf durchaus aggressive Weise verfolgt werden können und müssen".35 Damit setzt sich Butler zugleich von einem moralistischen Verständnis von Gewaltlosigkeit ab, aus dessen Sicht Gewaltlosigkeit die einsame Haltung der schönen Seele ist, die sich nicht die Hände in der politischen Auseinandersetzung schmutzig machen möchte. Im Gegenteil ist, so Butler, die gewaltlose Aktion wesentlich plural und kollektiv zu denken. Gewaltlosigkeit muss
weniger als moralische Haltung von Individuen in Bezug auf ihre Handlungsoptionen und eher als gemeinsame soziale und politische Praxis verstanden werden, die in einer Form von Widerstand gegen systemische Zerstörung gipfelt, verbunden mit der Verpflichtung zur Schaffung einer Welt, die globale Interdependenzen respektiert, in denen die Ideale wirtschaftlicher, sozialer und politischer Freiheit und Gleichheit zum Ausdruck kommen.36
Damit ist eine ganze Reihe an normativen Implikaturen angesprochen. In der Tat geht Butler davon aus, dass Gewaltlosigkeit ein neues egalitäres politisches Imaginäres voraussetzt. Hier kommt der zentrale Begriff der Betrauerbarkeit (grievability) ins Spiel. Dieser Begriffsprägung liegt der Gedanke zugrunde, dass vulnerables Leben in sozialen und politischen Dispositiven als betrauerbares oder unbetrauerbares Leben gerahmt wird:
Wenn wir sagen, dass ein Leben unbetrauerbar ist, sprechen wir nicht bloß von Leben, die bereits vorbei sind. In der Welt als betrauerbar zu leben heißt auch zu wissen, dass der eigene Tod betrauert werden würde. Es heißt auch zu wissen, dass das eigene Leben wegen seines Wertes geschützt werden wird. Diese Evaluation der Betrauerbarkeit ist Teil der Biopolitik.37
Nicht anders als in Dorlins Kritik des Verteidigungsdispositivs geht es Butler also um die Kritik einer vorgängigen symbolischen Sphäre der Distribution ethisch-politischer Relevanz. Leben, die nicht betrauerbar sind, sind der Zerstörung schutzlos ausgesetzt. Anders als Dorlin macht Butler den normativen Horizont, der mit diesem Befund einhergeht, explizit: Die faktische Ungleichverteilung der Betrauerbarkeit von Leben verweist aus ihrer Sicht auf ein normatives Ideal radikaler Gleichheit – einer Gleichheit der Betrauerbarkeit von Leben: "Wir sollten also vielleicht einen offen normativen Schritt machen und davon ausgehen, dass jedes Leben betrauerbar sein sollte; damit würden wir einen utopischen Horizont öffnen, in dem sich Theorie und Beschreibung bewegen müssen".38 Praktiken gewaltlosen Widerstands sind aus dieser Perspektive insofern attraktiv, als sie sich als Vorgriff auf einen derartigen utopischen Horizont deuten lassen: Indem sie Gewaltlosigkeit ins Werk setzen, achten sie noch das Leben derer, gegen die sie sich politisch richten. Insofern ist "Betrauerbarkeit […] ein Definitionsmerkmal von Gleichheit".39
Butlers Idee eines neuen egalitären politischen Imaginären setzt sich der heute allenthalben grassierenden Rede von der Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf Wirklichkeitssinn und Realismus resolut entgegen. Der utopische Zug ihrer Überlegungen umfasst eine radikal-egalitäre und radikaldemokratische Gleichheitsforderung, die als "Gegengewicht" fungieren soll "gegen die todbringende Phantasmagorie, die nur zu oft Polizeigewalt gegen Gemeinschaften von People of Color, militärische Gewalt gegen Migranten und staatliche Gewalt gegen Dissidenten rechtfertigt".40 Angesichts dieser Problemlagen brauche es, so Butler, "ein neues Imaginäres, ein egalitäres Imaginäres, das der Interdependenz allen Lebens gerecht wird". Ein solches neues Imaginäres sei womöglich "unrealistisch […], aber möglicherweise doch ein Weg zu einer anderen Realität, die nicht auf instrumentelle Logik und 'rassische' Phantasmagorien baut, die staatliche Gewalt reproduzieren. Das 'Unrealistische' eines solchen Imaginären ist seine Stärke."41 Bedenkt man, dass seit einigen Jahren offenbar jede:r, der auf sich hält, entweder das Verschwinden des Realismus beklagen oder selbst einen neuen Realismus ausrufen muss, dann sind das in einer erfrischenden Weise unzeitgemäße Gedanken. Denn sie stellen die heute weithin geteilte Auffassung in Frage, dass es uns an Wirklichkeitssinn mangelt, und legen nahe, dass es zumindest auch, und vielleicht sogar in erster Linie der Möglichkeitssinn ist, der uns abgeht; eben der Sinn für die Möglichkeit eines anderen, egalitären Lebens.42
Notes
- Das Second Amendment, der zweite Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung, veranschlagt das Grundrecht auf Waffenbesitz. [^]
- Julie Bosman, Dan Hinkel, "Before Kyle Rittenhouse's Murder Trial, a Debate Over Terms Like 'Victim',” The New York Times, 27. Oktober 2021. https://www.nytimes.com/2021/10/27/us/kyle-rittenhouse-trial-victims.html (abgerufen am 11.11.2021). [^]
- Judith Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit. Über das Ethische im Politischen, aus dem Amerikan. von Reiner Ansén (Berlin: Suhrkamp, 2020). [^]
- Elsa Dorlin, Selbstverteidigung. Eine Philosophie der Gewalt, aus dem Französ. von Andrea Hemminger (Berlin: Suhrkamp, 2020). [^]
- Vgl. z.B. Günter Kaindlstorfer, "Ansichten zu politischer Gewalt. Zwischen Gewaltlosigkeit und Selbstverteidigung," Deutschlandfunk, 23. November 2020, https://www.deutschlandfunk.de/ansichten-zu-politischer-gewalt-zwischen-gewaltlosigkeit.1310.de.html?dram:article_id=487971 (abgerufen am 11.11.2021). [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 18. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 20. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 20. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 20. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 21. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 21. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 19. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 20. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 38ff. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 71ff. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 98ff. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 151ff. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 224. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 219. [^]
- Dorlin, Selbstverteidigung, 219. [^]
- Demgegenüber diskutiert etwa Bini Adamczak mit einer dezidiert anderen Schwerpunktsetzung Revolution als Ausgangspunkt alternativer, gewalt- und herrschaftsfreier Beziehungsformen. Vgl. Bini Adamczak, Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende. (Berlin: Suhrkamp, 2017). Auch wenn man diese Position unter Verweis auf ein romantisierendes Revolutionsideal ablehnt, fällt auf, dass weder Dorlin noch Butler der langen Geschichte der Idee gewaltlosen Widerstands nachgehen. Während Dorlin auf die Geschichte der Gegengewalt fokussiert, bleibt Butler durchwegs auf der Ebene begrifflich-theoretischer Überlegungen. Die historischen Praktiken der Gewaltlosigkeit – von der Gewaltablehnung der Quäker im Kontext der Amerikanischen Revolution über den Indischen Unabhängigkeitskampf und die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung bis hin zu rezenteren Formen der "nonviolent action", um nur einige wenige Schlaglichter zu nennen – bleiben dabei weitgehend außen vor. Vgl. u.a. Thomas Paine, "An die Vertreter der religiösen Gemeinschaft des Volkes, genannt Quäker," in Common Sense, übers. u. hrsg. von Lothar Meinzer (Stuttgart: Suhrkamp, 1982), 85–92; Mahatma K. Gandhi, Ausgewählte Werke, hrsg. von Shriman Narayan, bearb. von Wolfgang Sternstein, aus dem Engl. von Brigitte Luchesi u. Wolfgang Sternstein, Bd. 4 (Göttingen: Wallenstein, 2001); Martin Luther King, Martin Luther King: Schöpferischer Widerstand, hrsg. von Heinrich W. Grosse (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1985); Gene Sharp, The Politics of Nonviolent Action, 3 Bde. (Boston, MA: Porter Sargent, 1973). [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 17. [^]
- Christoph Schwarz, Interview mit Laura Sachslehner, "Thema Zwangsheirat wird in Wien tabuisiert,” Kurier, 20. September 2021, https://kurier.at/chronik/wien/oevp-sachslehner-thema-zwangsheirat-wird-in-wien-tabuisiert/401740725 (abgerufen am 11.11.2021). [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 25. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 24. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 17. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 17f. [^]
- Judith Butler, Kritik der ethischen Gewalt, aus dem Engl. Von Reiner Ansén und Michael Adrian. Adorno-Vorlesungen 2002 (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2007). [^]
- Judith Butler, Gefährdetes Leben. Politische Essays, aus dem Engl. von Karin Wördemann (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2005). [^]
- Judith Butler, Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen, aus dem Engl. von Reiner Ansén (Frankfurt/M./New York: Campus, 2010). [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 20f. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 21. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 21. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 24. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 36. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 36. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 139. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 136f. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 138. Mit der Emphase auf der radikalen Gleichheit allen Lebens und der Forderung nach einer rückhaltlosen Gleichverteilung von Betrauerbarkeit stellt sich mit Blick auf die heutige politische Wirklichkeit natürlich die Frage, wie Butler sich zu der Politik der Abtreibungsgegner:innen verhält, die ihre aggressive Kampagne in den USA dezidiert unter das Motto Pro Life stellen und sich als Advokaten eines gleichen Lebensrechts Ungeborener gerieren. Butler stellt sich diesem Einwand mit dem Argument, dass "diese Position tatsächlich der Ungleichheit der Geschlechter verpflichtet ist, indem sie dem Embryo ein Lebensrecht zuspricht, während sie den Anspruch von Frauen auf ihr eigenes Leben im Namen von Freiheit und Gleichheit als nachrangig behandelt. […] Einmal mehr werden Frauen hier zu Unbetrauerbaren." Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 77. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 245. [^]
- Butler, Die Macht der Gewaltlosigkeit, 245f. [^]
- Für hilfreiche Hinweise und Anmerkungen danke ich Michaela Bstieler, Stephanie Marx und Anna Wieder. [^]
Literatur
Adamczak, Bini. Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende. Berlin: Suhrkamp, 2017.
Bosman, Julie, Dan Hinkel. "Before Kyle Rittenhouse's Murder Trial, a Debate Over Terms Like 'Victim'." The New York Times, 27. Oktober 2021. https://www.nytimes.com/2021/10/27/us/kyle-rittenhouse-trial-victims.html (abgerufen am 11.11.2021).
Butler, Judith. Die Macht der Gewaltlosigkeit. Über das Ethische im Politischen. Aus dem Amerikan. von Reiner Ansén. Berlin: Suhrkamp, 2020.
Butler, Judith. Gefährdetes Leben. Politische Essays. Aus dem Engl. von Karin Wördemann. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2005.
Butler, Judith. Kritik der ethischen Gewalt. Aus dem Engl. von Reiner Ansén und Michael Adrian. Adorno-Vorlesungen 2002. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2007.
Butler, Judith. Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen. Aus dem Engl. von Reiner Ansén. Frankfurt/M./New York: Campus, 2010.
Dorlin, Elsa. Selbstverteidigung. Eine Philosophie der Gewalt. Aus dem Französ. von Andrea Hemminger. Berlin: Suhrkamp, 2020.
Gandhi, Mahatma K. Ausgewählte Werke. Hrsg. von Shriman Narayan, bearb. von Wolfgang Sternstein. Aus dem Engl. von Brigitte Luchesi und Wolfgang Sternstein. Bd. 4: Die Stimme der Wahrheit. Göttingen: Wallenstein, 2001.
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